Shit-picking

Soso, am 12. August war also „Tag der Jugend“. Und das größte Problem, das Wissenschaft und Medien ausgemacht haben, ist Cyber-Mobbing. Und ich denk‘ so: Ei guck, da hat sich doch wieder jemand mit dem Schäufelchen auf den Misthaufen gesetzt, ein ordentlich stinkendes Stück rausgelöffelt und es auf den großen Tisch der großen Probleme gelegt. So’n einzelnes Stück aus dem Misthaufen sieht ja auch so lecker lösbar aus. Die vielen stinkenden Stücke aber sehen so aus, als wären wir ganz und gar unfähig, uns um all das zu kümmern. Deshalb stinkt es ja so und deshalb muss das ganz dringend defragmentiert werden.

Jugendliche (ganz im Gegensatz zu Erwachsenen, versteht sich) beschimpfen sich also im Internet aufs Übelste, Verleugnen einander und hängen ihren virtuellen Gegenübern die wildesten Dinge an. Zum Glück kam aber jemand daher, hatte den Namen Cyber-Mobbing für dieses außergewöhnliche Phänomen und nun können wir fleißig Ausschüsse bilden, Informationsveranstaltungen abhalten und/oder genießen und vielleicht hie und da noch ein paar Gesetze verschärfen, die annehmen, sie könnten im WWW etwas ausrichten. Ich bin sicher, dann wird das schon. Nicht!

Ich meine, irgendwann muss doch auch dem letzten Vollhorst (haha) die Lampe aufgehen, dass wir hier nicht – schon lange nicht – über singuläre Phänomene sprechen, die *plumps* vom Himmel fallen. Die Kids bekommen Konkurrenz als Lebensaufgabe mit der Muttermilch. Und kaum halbwegs einer Wahrnehmung fähig, müssen sie sehen, wie unsolidarisch, wie gewaltsam, wie unmenschlich diese Konkurrenz gelebt wird. Klappspaten wie Seehofer oder Hoeneß (um nur die zuletzt Auffälligsten zu nennen) bräuchte es gar nicht, um zu erkennen, was gesellschaftliches Credo ist – sie helfen allerdings dabei.

In Business, Politik, Wissenschaft, Medizin und sogar in der Wohlfahrt, geht es stets darum, der/die Beste zu sein. Die hierfür gewählte Methode darf Betrug (z.B. bei Doktorarbeiten), Steuerhinterziehung, Verleumdung und viele weitere, denkbare Gewalttaten umfassen. Wer am Ende der/die Beste ist, darf leuchten und muss sich kaum ob der gewählten Mittel rechtfertigen. Bis jemand kommt, der/die eben genau hieraus das Kapital für den eigenen betrügerischen Aufstieg schlägt. Cyber-Mobbing? Kindergarten!

Apropos Kindergarten: Selbstverständlich konkurrieren auch schon die Kleinsten miteinander. Vielleicht nicht im Kindergarten selbst, aber doch in Sportvereinen, Musikschulen und bei den damit zusammenhängenden und anderen Wettbewerben, die allüberall abgehalten werden. Hauptsache Beste/r. Eine Freundin berichtete kürzlich, dass in der ersten Klasse ihres just eingeschulten Sohnes ein öffentliches Ranking hängt. Ein Bild also, auf dem alle Schüler/innen der Klasse in die Kategorien Sonne, Wolken, Regen unterteilt werden – für alle sichtbar. Regen ist dabei der Anruf bei den Eltern. Cyber-Mobbing? Pffff. Und es ist kein Fun-Fact, dass reichlich Eltern das gut finden.

Cyber-Mobbing ist lediglich eine üble Manifestation der gesellschaftlich anerkannten Auseinandersetzung. Wir können noch Mobbing, Mobbing am Arbeitsplatz, Mobbing in der Ehe, Mobbing in der Schule, Space-Mobbing, Hoppsasa-Mobbing und Trallala-Mobbing aus dem großen Misthaufen holen und das jeweilige Phänomen vollkommen überrascht in den wissenschaftlichen Diskurs geben. Jemand wird sich stets finden, der etwas darüber veröffentlicht und so zum Star seiner Fakultät wird. Dem Misthaufen ist das reichlich Wurscht, denn auf diese Weise kann er ungehindert weiterwachsen und zusehen, wie Klimawandel, Altersarmut, eingestürzte Brücken, Pflegenotstand, Korruption, Eurokrisen und Bankencrashs einzeln aus ihm herausgehoben und mit hässlich gestalteten Begriffen versehen werden.

Die aus dem Misthaufen gepickten Stückchen Scheiße sind aber keine singulären Phänomene. Sie sind der Misthaufen. Sie sind die ausufernden Dummheiten des Kapitalismus im Endstadium. Und jedes Teilproblem dient lediglich dazu, vom Misthaufen abzulenken. Sie nutzen den Profiteuren. Angela Merkel sagte bereits vor Jahren „Wir dürfen die Märkte nicht verunsichern“ und nutzte das ebenso unwahre wie dumme wie einschüchternde Adjektiv „alternativlos“. Beides hat gesessen und beides ist natürlich ausgemachter Unsinn. Die Alternative ist eben genau die, die Märkte zu verunsichern, die unsolidarischen Strukturen zu durchbrechen und damit aufzuhören mit jedem und jeder zu konkurrieren. Bekommen wir die idiotische Annahme aus den Köpfen, man müsse stets mehr können und haben als jetzt und vor allem als andere, zerplatzen all die hiermit einhergehenden „Probleme“ wie Seifenblasen. Die Alternative ist demnach ganz deutlich, den Misthaufen als Ganzes zu betrachten und mehr Demokratie, mehr Solidarität, mehr Nachbarschaft und Freundschaft zu wagen. Wobei wagen klingt, als sei all das beängstigend. Mehr Solidarität und Freundschaft zu feiern klingt richtiger.

Und vielleicht doch noch ein Fun-Fact zum Schluss: Leben macht entschieden mehr Spaß, wenn man einfach mal angekommen ist. Wenn man für sich beschließt, dass es gut ist wie es ist, dass man gar nicht aufsteigen muss, dass man im Hier und Jetzt sicher genug, „reich“ genug, lebendig und erholt genug ist, um die Dinge so zu lassen, obwohl auf der Karriereleiter noch Luft nach oben ist. Mein Tipp: Lass jemand anderen klettern. Irgendein/e Spinner/in findet sich immer, der/die da gerne hoch will. Du musst das nicht alles machen oder schaffen. Sei lieber mit Freunden, mit Partner/in oder auch mal ganz für Dich. Das macht am End auch ziemlich immun gegen Cyber-Mobbing.