…wenn man nur wollte

Die älteren unter Ihnen werden „König von Deutschland“ noch kennen. Schöner Song von Rio Reiser, zuvor Sänger der „Ton, Steine, Scherben“. Und der will mir in letzter Zeit einfach nicht aus dem Kopf. Nicht nur, weil’s einfach ein schöner Song ist, sondern auch, weil man ja nicht umhin kommt, in Anbetracht der gequirlten Scheiße, die unsere Regierenden so anrichten, Allmachtsfantasien zu entwickeln. Denn im Refrain des Songs heißt es: „Das alles, und noch viel mehr, würd’ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär.“

Ja nicht durchdrehen jetzt, ich weiß schon, wie gefährlich das ist. Ich weiß auch, dass eine Alleinherrschaft – und richtete sie sich noch so sehr nach dem Willen der Allgemeinheit – keine Lösung sein kann. Eine Lösung kann eine von-unten-nach-oben Struktur sein, in der die organisatorisch notwendigen Repräsentant*innen jederzeit abgewählt werden können. Aber wir haben’s nunmal mit diesem unerträglich untätigen Parlamentarismus zu tun und der verleitet mich zu diesem Gedankenspiel. Schon der Gedanke an eine Expertenregierung ist ja ein schöner und sicher ist: man könnte weit mehr machen, nähme man die Macht und die damit einhergehende Verantwortung eine* Regierenden ernst. Man könnte vieles ändern, vieles sogar sehr schnell, wenn man nur wollte…

Man könnte entschieden schneller aus der Kohle auszusteigen, als bis jetzt angedacht. Man müsste nur einiges wollen: z.B. den Unternehmen, die über Jahrzehnte an der Kohle verdient haben, die Verantwortung in wesentlich höherem Maß aufbürden. Und vor allem nicht so tun, als nagten diese mit Umstellung auf erneuerbare Energien plötzlich am Hungertuch. Den Energieversorgern ist herzlich egal, womit genau sie ihre Mark machen.

Man könnte aufhören, den Strukturwandel, der mit dem Kohleausstieg einhergeht, als Ausrede für dessen Verlangsamung zu nutzen. Das ist schlicht Käse. Wenn man wollte, überführte man die Arbeiter*innen in Übergangsgesellschaften, getragen von Unternehmen und Staat. Ein echter Wandel schafft Arbeitsplätze ohne Ende und selbst bestehende, industrielle Strukturen können gewandelt und weiter genutzt werden.

Man könnte, sollte ein schneller Kohleausstieg tatsächlich Versorgungsprobleme bringen (ich kauf das ja nicht), einen Teil der „Schwierigkeiten“ lässig auf unseren gewohnten Luxus abwälzen. Wenn der Saft ohne Kohle nicht reicht, dann hören wir eben auf, die Pimmel aus Glas und Beton nächtlich anzuleuchten. Und Schaufenster sind dann nachts eben auch dunkel. Dunkelheit ist Nachts nichts allzu ungewöhnliches und ich behaupte, für eine vernünftige Straßenbeleuchtung wird’s schon noch reichen. Gesetzgebende Institutionen könnten derlei regeln, wenn sie denn wollten.

Man könnte – im Sinne der Feinstaubbelastung und aus Millionen weiteren Gründen – das Auto konsequent aus den Innenstädten verbannen. Das Auto, dieser blechgewordene, dauerhafte Übergriff, dieser gesellschaftlich zum Lebensgefühl hochgejazzte Anschlag auf Leib und Leben. Es könnte das sein, was es ist: ein Transportmittel. Seine Nutzung in Innenstädten könnte man konsequent unterbinden, man könnte ein Tempolimit auf Autobahnen einführen (dessen Nutzen ist unbestritten) und man könnte jedem, der einen SUV fährt und nicht Handwerker oder Förster ist, derart hohe Steuern abnehmen, dass der Spaß daran einfach vorbei ist. (Wir gendern unsere Artikel, das ist hoffentlich aufgefallen. Den Abschnitt über Kackenhauer-Karren bewusst nicht.)

Auch in den Vororten könnte man – wenn man denn wollte – dem Fahrrad entschieden mehr Platz einräumen und so den Spaß am Auto mindern. Alles was zweispurig ist, wird auf eine Auto- und eine Fahrradspur zurückgeschraubt. Ja, eine volle Breite fürs Fahrrad – mehr Raum, weniger Gefahr, weniger Unfälle. Und für die ARBEITSPLÄTZE (panisches Geschrei der aktuell Regierenden) in der Autoindustrie gilt dasselbe wie für die im Kohleabbau: umstrukturieren. Der großflächige Umbau vom Auto- zum Menschenfreund muss gestemmt werden, ebenso wie der Ausbau des ÖPNV, denn…

Gleichzeitig könnte man den ÖPNV konsequent kostenlos anbieten. Ein barrierefreier, gut ausgebauter ÖPNV macht das Auto überflüssig, senkt Feinstaub, senkt CO₂, senkt Emissionen und Straßenschäden und erhöht die Lebensqualität für alle spürbar. Gratis-ÖPNV ist keine Frage der Kosten, nur eine Frage des Wollens.

Und ausbauen könnte man den ÖPNV in einer Weise, die die ländlichen Regionen endlich wieder nennenswert anbindet. Es ist ja kein Wunder, dass Autos gefahren werden, wenn zweimal am Tag in Bus rumkommt und der schlimmstenfalls noch angerufen werden muss. Und wenn wir dabei sind, könnte man diese Regionen insgesamt stärken, indem man Behörden z.B. ins Umland verlegt und eben dieses Umland auch für andere Dienstleister attraktiv macht.

Stärkte man die ländlichen Regionen und bände man sie ordentlich an, wäre auch dem idiotischen Mietpreiswucher Einhalt geboten. Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland zu wenig Wohnraum gäbe. Es gibt zu wenig Wohnraum in den Städten. Macht man sich diesen Unterschied bewusst, ist der Weg klar: die Flucht vom Land muss aufhören. Behörden könnten die ersten sein, die dafür sorgen, und so endlich wieder Arbeit und im nächsten zwingenden Schritt auch Versorgung (Geschäfte, Ärzte, Dienstleistung) aufs Land zurückbringen.

Wo wir gerade auf dem Land sind. Man könnte die Subventionen in die Landwirtschaft endlich so steuern, dass nachhaltiger und vielfältiger Anbau davon profitierte, nicht die Massentierhaltung und Monokulturen. Es gibt längst Konzepte, in denen Felder ohne Chemiewaffen genutzt werden und deren Gülle nicht ganze Landstriche übersäuert. Gezielte Subventionen könnten diesen Industriezweig in ganz andere Bahnen zwingen, wenn man denn wollte. Und natürlich hieße auch das, dass jede*r sich umstellen muss. Aber wie sehr schon? Jeden Tag Fleisch zu essen und im Supermarkt alles und jetzt zu bekommen ist kein Menschenrecht. Da es zur Ausrottung des Menschen beiträgt, ist es sogar ausgesprochen dämlich. Regionale und saisonale Produkte sind der Schlüssel, und dann gibt’s eben keine Erdbeeren und schon gar keine Mangos im Winter. Werden wir das überstehen?

Man könnte endlich Kerosin und Schweröl vernünftig besteuern, damit dieser Billigflug- und Kreuzfahrt-Irrsinn aufhört. Dann geht’s eben – war früher ganz normal – nur noch einmal im Jahr in einen ausgiebigen Urlaub. Da ist gar nix schlimm dran und ich empfehle, dabei das Smartphone und schon gar den Eingang für geschäftliche E-Mails über den kompletten Zeitraum unangetastet zu lassen. Erholung, wie man sie kaum noch kennt. Aber es geht dann eben nicht mehr alle Furz lang mit dem Flieger irgendwohin! Innerdeutsche Flüge gehören abgeschafft. Sie sind nicht nur eine Umweltsauerei, sie sind kompletter Schwachsinn. Mich hat eine Agentur mal mit dem Flieger von Frankfurt/M. nach München geschickt. Ich habe sie daraufhin gebeten, das nie wieder zu tun. In der halben Stunde in der Luft hast kaum Zeit, deinen Tisch runterzuklappen, bist aber insgesamt 3-4 Stunden unterwegs, um rechtzeitig einzuchecken und Dich dann mit der Bummelbahn in die Münchner Innenstadt karren zu lassen. In der Zeit schreibe ich im ICE drei Artikel und kann dabei essen und trinken. Und sollte Omas Ölofen dank der Besteuerung von Schweröl so teuer werden, dass sie ihn sich nicht mehr leisten kann, könnte man ihr – von den eingenommenen Geldern – ja eine Solaranlage aufs Dach spendieren. Verrückte kleine König-von-Deutschland-Idee, was?

Man könnte einen Steuersatz einführen, der für alle gleichermaßen gilt und der von allen bezahlt wird. Der müsste gar nicht hoch sein, wenn es keine Schlupflöcher mehr gibt. Wenn aber nur jene Steuern zahlen, die sich keine dubiosen Berater*innen leisten können, dann ist der Staatsetat nicht hoch genug, für alles, was da zu tun wäre. Denn natürlich könnte man – wenn man nur wollte – ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Von irgendetwas müssten die dann überflüssigen Repressionsheimer der Arbeitsagentur ja leben. Die paar, in denen schon immer ein Blockwart wohnt, hält eine so umstrukturierte Gesellschaft schon aus. All die anderen beteiligen sich sicher sinnvoll an ihr.

Man könnte verantwortungslose Unternehmen (eine Tautologie, ich weiß) enteignen und ihre Produktionsstätten in Genossenschaften überführen. Aktuell sind wir mit dem Enteignen nicht zimperlich, wenn es um den Kohleabbau geht. Beim Leerstand von Wohnraum scheint’s Manschetten zu geben.

Man könnte die Gehälter von Manager*innen konsequent deckeln und die feinen Damen und Herren endlich in die Verantwortung nehmen, wenn sie Mist bauen. Sie verdienen sich dumm und dämlich und wenn sie dumme und dämliche Entscheidungen treffen, gehen Arbeiter*innen baden. Das wäre bei mir andersrum: Die Großkopferten wanderten in den Knast und mit ihren unverschämten Vermögen würden die anderen versorgt. Vor dem Hintergrund gäb’s wohl ohnehin weniger Hasardeure in den Chefetagen. Banken müsste man auch nicht retten, höchstens Bankkund*innen – hätte man so machen können.

Dabei könnte man den ängstlich abwandernden Unternehmen eine gute Reise wünschen. Ein solcher Umbruch braucht keine geldgeilen Feiglinge, denen das Allgemeinwohl am Arsch vorbeigeht. Wir hätten genug zu tun.

Zu guter Letzt könnte man Politik und Industrie viel entschiedener trennen. Es stört mich nicht, wenn Politiker*innen ordentliches Geld verdienen, aber doch bitte durch ihren Job. Nebeneinkünfte könnte man ausnahmslos verbieten. Sie schaffen vor allem Abhängigkeiten und haben stets ein Geschmäckle. Wozu man mehr als 120.000 Euro im Jahr brauchen soll, verstehe ich ohnehin nicht. Es ist sicher nicht so wenig, dass am Hungertuch nagende Politiker*innen zwingend noch Vorträge für sechsstellige Saläre halten müssten. Ließe man das weg, könnte ein ganz anderes Vertrauen in die Machthabenden entstehen. Und natürlich wäre auch das System des Lobbyismus mindestens zu überdenken.

Als König von Deutschland schaffte ich übrigens auch den Verfassungsschutz ab, holte mir Expert*innen zur Beratung, so Harald Lesch für Umwelt und Wissenschaft, Harald Welzer für’s Innere, Naomi Klein, wenn sie Zeit hat – Profis eben. AKK hielte ich mir evtl. als Hofnärrin, aber ich bin nicht sicher, ob Seehofer oder Nahles konsequenter wären, so vong Spaßfaktor her. Ich legte wieder Wert auf Höflichkeit und ließe mich auf das Geplärre von Rechts erst gar nicht ein. Derartige Umgangsformen gehören wieder geächtet – sie waren es lange und zurecht. Natürlich wären Zuwander*innen willkommen und natürlich wären Seenotretter*innen Held*innen. Und auch sonst richtete sich mein Regieren an der Charta der Menschenrechte und unserem Grundgesetz aus – das allein klingt vielen heute ja schon wie eine verrückte Idee.

Das alles und noch viel mehr, würd’ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär…