Unter Schutzatmospähre aufgewachsen

Na? Alles klar? Fein geduscht? Haare gewaschen? Frische Klamotten an? Einmal getragen, dann in die Waschmaschine, Waschmittel, Weichspüler, irgendwas gegen Kalk nicht vergessen. Der Maschine soll’s ja nicht schlechter gehen, als der Klamotte. Toilettensitz desinfiziert? Frische Feuchttüchlein am Start? Milch laktosefrei? Essen glutenfrei? Lufterfrischer aufgefüllt und intakt? Zähnchen geputzt? Mund gespült? Keine Tiere und Pollen in der Nähe? Puh! Dann kann’s ja losgehen.

Mal ehrlich, ich dachte schon, Du riechst vielleicht noch irgendwie menschlich oder es bestünde die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks während des Lesens. Dann hätte ich Dich natürlich umgehend aufgefordert, dieses einzustellen – also das Lesen. Schockiert und/oder geschockt darfst Du natürlich sein, aber bitte nicht hier. Nicht hier vor meinem blitzsauberen, frisch geföhnten Artikel. Ach, und die Kippe aus bitte. Ich riech’s bis hier rüber, also in der Zeit rückwärts zur Entstehung dieses Artikels. Nee – das ist kein Quatsch. Solange sich irgendwelche Gesundheitsfetischisten noch drei Tische weiter im Freien im Biergarten darüber düpieren, dass ich rauche, ist „Rückwärts durch die Zeit“ nur der logische nächste Schritt. Denk’ halt mit.

„Spaß ist stärker als Schmutz“ heißt es in einer Wasch- oder Putzmittelwerbung. Klar – beides verboten. Um stärker als der Schmutz dieser Zeiten zu sein, braucht’s nicht viel. Da ist der Spaß, der zum Lachen in den Keller geht, stärker. Aber, uuuuh, Keller – ein modriger Ort, potenziell mit Ungeziefer vergiftet. Wo ist mein Paral? Zurück zum Spaß, nein zum Schmutz, achwas, zurück zu stark: Denn es mag ja sein, dass Spaß stärker als Schmutz ist, aber für viele der unter Schutzatmosphäre aufgewachsenen Pussys jeden Geschlechts scheint der Spaß am Schmutz vorbei zu sein. Viele sind so sauber geputzt, gewaschen und durchgespült, dass auch die putzigste, verirrte Bakterie plötzlich zur tödlichen Gefahr wird. Weiße Blutkörperchen, die immer nur an ihren roten Brüdern und Schwestern vorbeigeschwommen sind kommen schonmal fundamental durcheinander, wenn da plötzlich Angina mit ihrem Freund Tonsillitis durch die sterile Blutbahn scharwenzelt – schön Hand in Hand. Und während das eine oder andere, revolutionär gelaunte, weiße Blutkörperchen tatsächlich „Immunsystem“ ruft, plärrt die Masse „Antibiotikum“ und die Pessimisten nach einer OP. Gefahr gebannt. Glück gehabt, wenn sich nicht so ein paar ganz robuste bakterielle Kandidaten aus Krankenhauszüchtung auf’s schwächelnde Menschlein geworfen haben.

Da hilft dann nicht mal mehr Sagrotan, das sich sonst (so sagt’s der Onkel in der Werbung) um 99,9% der unsichtbaren Bakterien kümmert. Unsichtbare Bakterien. Ich hab’ da mal ’nen Punkt dran gemacht. Dieser Begriff verfolgt mich, seitdem ich ihn zum ersten Mal gehört habe. Seitdem ist alles nur immer absurder geworden. Aber nochmal dahin, zu den unsichtbaren Bakterien. Ich bin kein Held und kein Angsthase, aber vor den sichtbaren Pendants dieses Popanz, vor denen hätte ich Schiss. Ehrlich. Und die impliziert der Begriff ja irgendwie. Also wenn’s Unsichtbare gibt, muss es doch auch Sichtbare geben. Gruselig!

Aber wer weiß. Schließlich wird uns ja mittlerweile das Staubmonster gezeigt, das man mit irgendeinem Wedel vertreiben möge weil es sich sonst ganz fies und fett einnistet. Quasi zum Knäuel gewordene, sichtbare Bakterien. Und Obst, das früher gesund war, ist heute nur noch ein „Säureangriff“, vor dem Zähne und Zahnfleisch geschützt werden müssen. Spürbare Bakterien irgendwo in der Nähe der Mundfäule. „Es muss einfach einen anderen Weg geben, als auf diese Lebensmittel zu verzichten“ salbadert die auf „total authentisch“ geschnittene Tussi in der Werbung für irgendeine Zahnpasta. Oh ja, den gibt’s: Friss Dreck! Und hör auf, Dir ins präventiv mit Vaginalpilzcreme, Deo und Weichspüler versetzte Höschen zu pissen!

Oh, das klang jetzt böse, ne? Schon wegen der Ausrufezeichen. Jedoch, ich mein’s als guten Rat, beides. Natürlich nicht wörtlich. Dreck ist nicht lecker. Aber die ständige Angst vor Dingen, die krank machen können, ist doch die offensichtliche Ursache für Krankheiten. Wir rüsten unser Immunsystem ab und dabei Erreger auf, die sich fein an das ganze künstlich-chemische Gemisch angepasst haben und die folgerichtig als resistent gehandelt werden. Es klingt verschwörungstheoretisch, wenn ich anmerke, dass sie aus denselben Labors kommen, wie die Pharmazeutika dagegen, also lass ich den Teil weg. Sind wir also nicht langsam sauber genug? Leise genug? Gesund genug?

Und versteh’ mich nicht falsch (manchen muss man’s ja erklären): Ich mag weder Gestank noch Dreck. Aber ist es rational, Dinge zu waschen, die man einmal getragen hat, in einer Umgebung, in der es nichtmal mehr unsichtbare Bakterien zu geben scheint? Oder ist es antrainiert und nie hinterfragt? Ist es notwendig, jedes Mal die Hände zu waschen, wenn Du Deinen Schwanz zum Pinkeln rausgeholt hast? Ist er schmutzig? Dann wasch den. Rational oder antrainiert? Stellst Du Dein Glas vom Tag abends in die Spüle? Warum? Weil’s bequem oder weil’s notwendig ist? Musst Du jeden Tag duschen? Weil Du beim Sitzen im Büro so geschwitzt hast? George Carlin hat recht, wenn er sagt, Nein, solange Du die vier „Key areas“ wäschst: Armpits, Asshole, Teeth and Crotch. Und er fügt hinzu: „You can save yourself a whole lot of time, if you use the same brush for all four areas.“

Ein Kollege meiner sagte doch sinngemäß tatsächlich, am Tag nach unserer Weihnachtsfeier (auf der es – gepriesen seien die Gastgeber – gestattet war zu rauchen), die Klamotten habe man danach wegwerfen können. Und ich denk’ so: Nö. Du hattest nur tatsächlich mal einen Grund, sie zu waschen – einen rationalen sogar. Ich zwinge Dich nämlich nicht, Rauch zu mögen. Aber ich werfe auch meine Klamotten nicht weg, wenn mir Dein Parfum am Vorabend nicht gefiel. Klar soweit.

Zwei Dinge an dieser Gesundheits- und Reinlichkeitshysterie sind besonders schlimm: Zum Einen die Angst, die damit geschürt wird und die bei nächster Gelegenheit einen eigenen Artikel wert sein wird. Mit ihr geht eine wachsende Intoleranz einher, die an anderer, politisch korrekterer Stelle, augenscheinlich bekämpft wird. Und zum Anderen die offenbar verbreitete Annahme, wir lebten ewig (noch ein Artikel). Nein. Tun wir nicht. Du stirbst, ob Du rauchst oder nicht – laktosefrei, glutenfrei, rauchfrei, nüchtern und ungefickt – Du stirbst. Gefällt mir auch nicht, ist aber so. Und dass Du mir mittlerweile in abgetrennten Bereichen und in winzigen Kneipen sogar im bis dahin urgemütlichen Köln, verbietest zu rauchen, wird Dich nicht retten – es macht aber mir schlechte Laune. Also hinterfrage mal, was Du Dir selbst und mir so antust, jeden Tag, während Du uns für frei hältst.

PS: Gerade sah ich auf der Facebookseite von Grumpy Cat ein Cat-Meme unter dem stand „How are you so calm, with only one life left?“ (Wie kannst Du so ruhig sein, mit nur noch einem Leben übrig?) Das finde ich wirklich witzig. Und dann wieder denke ich: „calm? Wir sind offensichtlich leider alles andere als entspannt.“