Grafische Umsetzung des Titels "Schuld und Schulden"

Wer wir wieder sind

Die Knechtschaft, die, unter deutscher Federführung und genannt Hilfspaket, den Griechen auferlegt werden soll, macht mich sprachlos. Sie schockiert mich und sie verwirrt mich so sehr, dass ich darüber schreiben muss. Selbst wenn, nach der Fertigstellung dieses Artikels, der Hashtag #thisisacoup möglicherweise kein Twitter-Trend mehr ist. Ich bin erschöpft vom Mangel an Vernunft und vom wieder erstarkten hässlichen Deutschen, den unsere Staatsgewalt – brav gefolgt von den Hofberichterstattern – wieder und immer wieder vor sich herträgt.

Es gibt eine große Zahl Deutscher, die #thisisacoup für falsch halten, die jederzeit sagen würden, dass es sich hier nicht um einen Staatsstreich handele. Ich muss diese Leute fragen: Um was denn sonst? Stimmen die Parlamente dieser Tage für dieses dritte Hilfspaket (der Name ist so passend wie „Asylgegner“ für einen Nazi), ist Griechenland gezwungen, Gesetze zu verabschieden, die von den drei, nicht demokratisch legitimierten, Teilen der Troika (EZB, IWF, EU-Kommission) vorgegeben sind und überwacht werden. Griechisches Staatseigentum wird veräußert, um IWF- und EZB-Kredite zurückzuzahlen und Griechenland wird gezwungen sein, an der Mehrwertsteuer und am Rentenalter zu schrauben sowie künftige Gesetzentwürfe mit der Troika abzustimmen. All das betrifft innenpolitische, souveräne Entscheidungen. Sind solche Entscheidungen von außen diktiert, reden wir nicht länger von einem souveränen Staat. Wir reden – per Definition – von einem Vasall oder einer Kolonie. Kein Coup also?

Und – herrje – ich bin diese dämlichen, Ordnung-muss-sein-Vergleiche und -Argumente leid. Wer Schulden mache, der müsse diese nunmal auch zurückzahlen, heißt es. Und wenn man den Griechen das durchgehen ließe, dann könne ja jeder kommen usw. blabla. Ich will diese Scheiße nicht mehr hören. Dieses ganze System basiert auf Schulden. Schulden, die nie irgendwer wird zurückzahlen können. Nullen auf Rechnern – losgelöst von jeglichem greifbaren Gegenwert. Wenn Deutschland über einen ausgeglichenen Haushalt spricht, dann bedeutet das, dass die Einnahmen aus Steuern, die Ausgaben und die Zinsen decken. Hier werden keine Kredite zurückgezahlt, sondern Raten, nebst Zinsen beglichen. Bestünden die Gläubiger Deutschlands auf die Rückzahlung der zwei Billionen Euro, die derzeit hinter unserem Minus stehen… na, ausführen muss ich’s nicht. 

Und dann der Käse übers Vertrauen. Wie oft hat man gehört, die griechische Regierung habe das Vertrauen der EU enttäuscht, missbraucht, what ever. Frau Merkel: Wer das eigene Handy und die Kommunikation seiner Mitmenschen abhören lässt und sich dann – in bayrischer Bierseligkeit – mit dem Chef der Spione trifft, ihn einen Freund nennt und weiterhin über Handelsabkommen verhandelt, hat das Recht über verlorenes Vertrauen bzw. über Vertrauen überhaupt zu sprechen für immer verwirkt.

Mir ist verständlich, dass dem Deutschen an sich demokratische Vorgänge nicht mehr allzu vertraut sind. Nur – Demokratie ist ein anstrengendes Ding. Und wenn Tsipras in Brüssel der Knarre an seinem Kopf nachgibt, um dann, daheim in Griechenland, einen Rückzieher machen zu müssen, hat das nichts mit gebrochenem Vertrauen zu tun. Dann hat er vom eigenen Parlament die rote Karte bekommen, statt grünen Lichts für die Ergebnisse der allein geführten Verhandlungen. So etwas passiert, wenn man nicht mit einem Diktator, sondern einem Regierungschef verhandelt. So etwas passiert in Demokratien, die den Namen verdienen. Natürlich, wenn Frau Merkel Herrn Obama zu verstehen gibt, dass das mit dem Abhören alles nicht so wild sei, dann weiß sie ihre Fraktionszwang-Fraktion hinter sich. Lasst uns also gerne über Demokratie und Staatsstreiche diskutieren.

Schließlich haben wir noch jene Klugscheißer („der Grieche ist doch selbst Schuld“), die ständig darauf hinweisen, Syriza hätte ja, seit der Regierungsbildung, nicht ausreichend gegen Korruption und herrschende Missverhältnisse durchgegriffen. Und die muss ich fragen: Ja wann denn? Die der Troika willfährige Vorgängerregierung hat zum Abschluss ihrer „Arbeit“ mal eben sämtliche Rechner sowie Seife und Handtücher mitgehen lassen und dafür gesorgt, dass die Rückzahlungsfristen für ihre Nachfolger von sechs auf zwei Monate verkürzt wurden. Vom miserablen Start abgesehen muss Syriza seit Amtsantritt Verhandlungen führen. Und trotzdem wurden Weichen in die richtige Richtung gestellt. In eine Richtung, die Griechenland ebenso dienlich waren und sind, wie seinen Gläubigern. Nur verhandeln die Gläubiger nicht über den Zeitpunkt der Rückzahlung, sondern darüber, wie das Geld einzutreiben sei, selbst dann, wenn die Vorschläge der Syriza das Ziel erreichen würden. Das ist ein Staatsstreich. This is a coup. Es ist Vernunft vs. Politik.

Sarah Wagenknecht hat, als es um das zweite „Hilfspaket“ (ich kann diese Wort nicht ohne An- und Abführung schreiben. Es ist, als schösse ich Dir in den Kopf und nennte es Hilfspaket) ging, in Frankfurt-Höchst gesprochen. Und sie sagte, es könne doch keine Lösung sein, von einem Medikament, das offenbar nicht hilft, mehr zu verabreichen. Jetzt sind wir also bei „Hilfspaket“ Nummer drei. Noch mehr also von der Medizin, die nicht hilft. Die Überdosierung führt in Griechenland zu schrecklichen humanitären Zuständen. Also pumpt Oberst Schäuble noch ein wenig mehr davon hinein, um sich noch als umsichtiger Retter zu fühlen, der die Interessen der deutschen Steuerzahler ebenso gewahrt hat, wie die aller Europäer.

Oxi. Hat er nicht. Schäuble und Merkel wahren einzig kapitalistische Interessen. Und sie verkaufen das als deutsches Heldentum. Es könne ja nunmal nicht sein, dass der deutsche Steuerzahler für die Faulheit der Griechen aufkomme. Oder gar für die Verfehlungen ihrer – uaaaah – linken Regierung. Ich bin so satt. Ich bin’s so leid. Zu allem Überfluss ist die ganze Grexit-Diskussion eine Scheindebatte. Es kann – laut EU-Verträgen überhaupt keinen Grexit geben. Ein Austritt aus der Währung ohne einen Austritt aus der Europäischen Union ist nicht möglich, ist laut Vertrag gar nicht machbar. Allein die Griechen könnten – durch Einführen einer Parallelwährung – Fakten schaffen, die den Euro in Griechenland obsolet machen. Das wollen sie aber nicht. Ein Grexit, hervorgerufen durch irgendeinen oder mehrere andere europäische Staaten, verstößt gegen geltendes Recht. Punkt.

Ich bin sprachlos darüber, wie weit die herrschenden Strukturen bereit sind zu gehen. Nein, nicht die Strukturen, ihre ausführenden Akteure sind jene, die all das möglich machen. Angela Merkel und Wolfgang Schäuble machen sich ebenso schuldig wie die Bild-Zeitung. Jene Zeitung, die sich nicht zu schade ist, Merkel mit kaiserlicher Pickelhaube zu zeigen und eine harte Haltung gegen Griechenland zu fordern. Aber auch andere Medien, jene, die als seriös gelten, machen sich in jeder Talk-Runde schuldig, in der sie den Grexit diskutieren lassen, wider besseres Wissen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Strobl macht sich schuldig, wenn er sich tatsächlich zu sagen traut: „Der Grieche hat jetzt lange genug genervt“. Und der Rechtsaußen Gabriel macht sich schuldig, wenn er den Hinweis der Syriza auf ausgebliebene deutsche Reparationen an die Griechen nach dem zweiten Weltkrieg einfach mal für „dumm“ erklärt.

Dieser arrogante Nährboden sorgt dafür, dass Trinkwasser kein Menschenrecht ist, dass Pegida existiert, dass Freital für das steht, wofür Freital gerade steht, dass das Asylrecht den Namen nicht verdient und dass eine linke Regierung – demokratisch gewählt und durch eine Volksabstimmung bestätigt – niemals die Chance haben wird, in Europa zu existieren. Es sei denn, wir tun etwas dagegen. Das griechische Oxi muss in ein europäisches Nein münden, wenn wir Europa als Verbindung von Menschen ernst meinen.

Eine Währungsunion ist ein kapitalistisches Mittel der Macht. Sie ist kein Ideal, sie ist nichtmal eine Idee. Sie dient (it’s in the name) Interessen des Kapitals. Demokraten und Europäer gleichermaßen können der griechischen Kolonialisierung nicht zustimmen. Lasst uns NEIN sagen, zur organisierten Traurigkeit der herrschenden Verhältnisse.