Grafische Umsetzung des Titels "Stop in the name of love"

Schluss mit lustig

Ich weiß ja auch nicht… ich hab’ das Gefühl, ich schreibe diesen Artikel jetzt zum dritten Mal und könnte ihn jeden Tag in einer anderen Farbe neu schreiben. Auf jeden Fall bin ich drauf und dran, den Link zu diesem und den beiden anderen Artikeln so lange täglich zu posten, bis mal nur einen Tag lang kein rechter Hashtag trendet.

Die beiden älteren Artikel sind „Unteilbar“ und „Geteiltes Leid viral“, und am liebsten würde ich diesen hier nicht mehr schreiben müssen/wollen. Wir werden nur einfach nicht besser. Wenn wir aber endlich vernünftig gegen die Rechte und den Rechtsruck in Staat und Gesellschaft arbeiten wollen (und da sind wir uns doch einig), müssen wir aufhören, Blödsinn und Dummköpfe zu multiplizieren und endlich anfangen, Gegenmodelle nicht nur zu haben, nicht nur anzubieten, sondern auch schmackhaft zu machen.

Wen ich meine
Wenn ich im Artikel von der Linken schreibe, meine ich stets die außerparlamentarische. Solange es der Partei gleichen Namens nicht gelingt, sich von ihren nationalistischen Popstars zu trennen, und eine klare linke, antirassistische, weltoffene Linie zu finden, trägt sie ihren Namen zu unrecht.

Empörung
Es wird gewitzelt, sich empört und es wird skandalisiert. Schreibt ein_e Rechte_r etwas unglaublich dämliches, macht sich die Linke darüber lustig. Schreibt ein_e Rechte_r (ganz überraschend) rassistische Kackscheiße, ist die Linke empört. Und lassen sich rechtskonservative (also rechte) Politiker_innen bestechen oder hauen zu Gunsten des Kapitals Steuergelder aus dem Fenster (big time), ruf die Linke: SKANDAAAAAL! All das ist Zeitverschwendung. Wir dürfen uns nicht länger an diesen Hildmanns, Merzs, Amthors, Scheuers… (Liste beliebig erweitern) reiben. Es ist nichts skandalöses an ihrem Tun, sie tun, was in diesem System funktioniert, sie sind das System.

Während ich den Artikel beginne, trendet #querdenken711 auf Twitter. Und warum? Weil die Empörung über den intelligenzbefreiten Unsinn entsprechend groß ist. Damit vergrößert die Empörung ein ansonsten irrelevantes Zusammentreffen von Dummköpfen. Again.

Kannste so machen, isses halt Kacke
Mir scheint, die Idee hinter der Empörung ist, Populisten, ihre Parteien und andere Zusammenschlüsse zu entlarven oder zu entzaubern. Aber sorry, das ist eine Scheißidee. Nichts davon muss entlarvt werden, da es sich gar nicht tarnt; und ein Zauber wohnt all dem sowieso nicht inne. Jemand, der Hildmann und/oder all diesen Corona-Leugnern und Maskengegnern hinterherrennt braucht keine Erklärungen. Er oder sie ist schlicht mit dem Klammersack gepudert. Obendrein sind es unglaublich wenige, die auch tatsächlich fast keinen Krach schlagen.

Die ganze Aufmerksamkeit entsteht aus der Aufregung über ein paar Dummköpfe, nicht aus deren eigentlichem Handeln. Das putzige Rumgehopse trägt kein bisschen Revolte in sich, aber eine Menge rechten Drecks. Die Fahnenträger sind Nazis, der Rest ist ziemlich durcheinander. Darauf einzureden und es anzuprangern hilft überhaupt nichts. Sollten solche dabei sein, die von etwas anderem überzeugt werden können (und wenn sie so einen Unsinn glauben, kann das nicht allzu schwer sein), dann muss man ihnen ein besseres Angebot machen. Nicht jeder/jedem persönlich, sondern eines, das so sehr leuchtet, dass sie es dann schon finden.

Mit Rechten reden
Heute Abend (als ich hieran schrieb) läuft das Sommerinterview im ZDF mit irgendeinem AfDler. Ich merke mir deren Namen nicht, sie werden ohnehin untergehen. Sie wären längst untergegangen, hätten wir zwei Dinge: Leuchtende linke Alternativen und Journalist*innen, die endlich begreifen, dass es hier nichts bloßzustellen gibt. Ich ahne, dass es morgen Tweets von Etappensiegen Theo Kolls über den weinerlichen rechten Wixer gibt. Aber das ist Scheiße. Er hätte dort nie sitzen dürfen, also der Wixer, Koll darf meinetwegen. Es gibt nichts zu entzaubern oder entlarven, denn da ist nichts – absolute Funkstille, inhaltlicher Leerstand, nicht ein einziges konstruktives Angebot. Jetzt entblödet sich der Laden sogar, gegen die Maskenpflicht zu sein. Natürlich ist die AfD das: Man kann wieder mal gegen etwas sein, das erspart, für etwas sein zu müssen / etwas aufzeigen / etwas anbieten zu müssen. Immer gegen irgendwas zu sein, ist ein ziemlich entspannter Standpunkt und wunderbar beratungsresistent. So etwas schlägt man nicht, indem man sich intellektuell duelliert, das Gegenüber kommt ohnehin unbewaffnet. Man schlägt derlei, indem man etwas anbietet, Wege zeigt, Alternativen aufzeigt. Wer sich damit aufhält sich fortwährend zu empören, hat keine Zeit Angebote zu machen. Das gilt leider auch für die Linke.

Deutungshoheit
Die Deutungshoheit ist so ein von uns selbst hochgehängtes Thema, mit dem wir uns ungemein gern befassen und Zeit verplempern. Dabei ist die Deutungshoheit ja nur etwas, um das man noch kämpft, wenn jemand anderer bereits das Thema gesetzt hat. Wir brauchen keine Deutungshoheit, wenn Rechte ein Thema besetzen. Wir brauchen keine neue Interpretation dessen, was sich Mitte-Rechts auf die Fahne schreibt. Wir brauchen eine klare Abgrenzung davon und eigene Modelle und Perspektiven. Lasst uns den Kampf um die Deutungshoheit aufgeben und stattdessen die Themen setzen und aus linker Sicht beleuchten. Wenn wir uns ständig von rechts durch die Manege zerren lassen, und den von rechts gesetzten Themen unseren Anstrich verpassen wollen, kommen wir nirgendwo hin. Es muss endlich klar werden, was es bedeutet, links zu sein, wofür das gesamtgesellschaftlich stehen kann und welche wunderschönen Optionen es eröffnet.

Maskenpflicht
Die Maskenpflicht wäre ein Thema, das wir besetzen sollten. Ich verstehe, dass das schwierig ist, besonders wenn rechte/antidemokratische Demos lustig gegen sie verstoßen während linke Demos trotz getragener Masken abgeräumt werden, um Teilnehmer_innen im Nachklapp noch wegen Vermummung anzuzeigen. Aber wir alle könnten an dieser Stelle mal aus der Deckung kommen, indem wir aufhören Witze über die Maskenpflicht zu machen. Klar begehren wir, aus guten Gründen, lieber vermummt gegen den Staatsapparat auf. Die Verknüpfung dessen mit der Maskenpflicht war drei Tage lang witzig, zugegeben. Aber nun gilt es klar zu machen: Die Maskenpflicht und die Abstandsregeln während einer globalen Pandemie sind ein Ur-Linkes-Projekt.

Durchatmen
Ich dachte, ich lasse das kurz stehen und wirken. Denn gleich, ob Du Dich als Anarchistin, Demokratin, Sozialistin, Kommunistin oder wie sonst Deine Strömung heißt, verstehst: Selbstverständlich würden in einer solidarischen Gemeinschaft und Gesellschaft Regeln eingehalten, die andere vor einer potenziell tödlichen Krankheit schützen. Da bräuchte es keine – durch eine Staatsmacht durchzuboxenden – Gesetze, es ginge lediglich um Absprachen. Und es wäre auch Raum für solche, die auf ihr Recht auf Party und/oder Auslandsurlaub bestehen. Nur wäre diesen eben auch klar, dass sie – um die Gemeinschaft zu schützen – anschließend für 14 Tage in Quarantäne gingen oder ihre Parties, meinetwegen Orgien und GangBangs, gleich dort abhielten.

Solidarität
In einer linken Gesellschaft passen die Menschen aufeinander auf, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, Sexualität usw. Warum spielen wir das nicht klarer? Menschen, die den rechten Vorreitern auf Hygiene-Demos folgen sind offenbar derart perspektivlos, dass sie von unermesslichem Schwachsinn abzuholen sind. Und anstatt genau dort anzusetzen, beim Abholen, machen wir uns über die Menschen lustig. Nein, wir können nicht alle retten, aber das Pauschalisieren sollten wir endlich der dunklen Seite überlassen.

Syndikat, Rigaer, Rote Flora, das Klapperfeld, das Exzess, die Au, Connewitz…
Linke Zentren stehen stets unter Generalverdacht, da müssen wir uns nichts vormachen. Und immer wieder werden linke Zentren angegriffen, geräumt, an Investoren verkauft usw. Natürlich ist das so. Linke Zentren schmecken den Eliten nicht. Und selbst hier schaffen wir es nicht über die Empörung hinaus zu kommen. Nehmt den jüngsten Fall, das Syndikat. Die Feststellung, dass es von irgendwelchen stinkreichen Kapitalisten weggeputscht wurde, ist eine perspektivlose. Es ist uninteressant, welcher systemische Mechanismus hier greift, wichtiger ist: Was war das Syndikat, wofür steht/stand es, welche Perspektiven hat es wem geboten? Wir müssen viel klarer beleuchten, warum diese Zentren relevant sind, für welche Gesellschaft sie stehen, was dort vor sich geht und warum das für alle wichtig ist.

Der zum Teil martialische Auftritt der entschlossenen Linken ist mir dabei genauso schnurz wie der von Fußballfans, wenn sie auf der richtigen Seite stehen. Wir müssen uns auch nicht länger einreden lassen, dass der Auftritt das Problem sei. Menschen in der Mitte und ohne Perspektive scheuen sich nicht vor Reichskriegsflaggen und gehobenen rechten Armen. Inhaltlich oder wenigstens emotional bekommen sie von rechts etwas, das die Linke ihnen scheinbar nicht gibt. Das aber ist unser Fehler. Es gibt Inhalte, es gibt Perspektiven, es gibt gute linke Arbeit, und wir sind blöd genug, all das mit Empörung zu übergießen und somit unsichtbar zu machen.

Blockempfehlung
Einer der – meiner Meinung nach – dümmsten Auswüchse linker Empörung ist die Blockempfehlung. Wir werden auf Accounts aufmerksam gemacht, die wir unser Lebtag nicht gesehen hätte, weil wir sie blocken sollen. Wir wären diesem Account nie begegnet und verschaffe ihm Aufmerksamkeit, indem wir ihn blocken und darüber auch noch schreiben. Fällt Euch da nix auf?

Wir haben mal eine Blockempfehlung für einen Account mit 3 – drei – DREI Follower_innen bekommen. DREI. Warum sollte sich irgendwer damit befassen? Nach der Blockempfehlung dürfte der Account nicht mehr so unbekannt gewesen sein. Das ist doch dämlich. Wir blocken keine Accounts, die wir nicht kennen, solange sie uns nicht betreffen. Unlängst hat ein Schwurbler uns folgen wollen, der hatte die Tür schnell im Gesicht. Aber wir blocken doch nicht präventiv, verschwenden kostbare Zeit und machen so auch noch auf Geschwurbel aufmerksam!

Noch mal
Ich wiederhole den – wie ich denke – Kernsatz aus „Unteilbar“: Im Leben müssen solche Aussagen auf entschlossenen Widerstand stoßen, aber im Netz müssen sie ungehört verpuffen. Die Zeit, die wir dadurch gewinnen, können wir dann endlich darin investieren, zu zeigen, was es heißt, links zu sein und welche Gesellschaft, welches solidarische Zusammenleben wir uns vorstellen. Dann setzen wir die Themen, dann zeigen wir die Perspektiven und dann wird bestenfalls die solidarische Gesellschaft der leuchtende Ausweg für viele. Zur Zeit leuchten Rassismus und all dieser Dreck als tatsächlicher Lebenswunsch, sogar bei Menschen, die in einer solchen Gesellschaft die nächsten auf der Abschussliste wären. Das liegt nicht daran, dass eine solche Gesellschaft erstrebenswert ist, es liegt daran, dass wir uns nicht darauf konzentrieren, die erstrebenswerte Gesellschaft zu kreieren und zu zeigen. Aber so ist der Kampf dann verloren.