Dieses wohlfeile GdL-Bashing geht mir auf den Sack. Denn in den meisten Fällen ist es allein das: wohlfeil. Wir finden das jetzt alle mal total doof, das mit dem Streik. Einfach so Durcheinander im Zugverkehr zu machen. Und das auch noch so so lang. Doof. Und was wollen die? Mehr Geld. Mir doch egal. Doof. Dabei hat ja jede/r das Recht, für oder gegen diese Streiks zu sein, aber doch bitte nicht nur „weil!“. Ein bisschen differenzierter dürft’s schon sein.
In den meisten Fällen geht’s beim Draufschlagen offenbar nur um persönliche Befindlichkeiten. Und es ist mehr als an der Zeit, nicht nach eigenen Befindlichkeiten zu urteilen, wenn eine Interessengemeinschaft, mit den Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, für ein Ziel eintritt. Und was macht’s denn schon, wenn der Bahnverkehr mal ein bisschen durcheinanderläuft? Kommst zu spät zur Arbeit? Ohjemine! Das ist A nicht schlimm und passiert B bei der Bahn auch aufgrund widriger Umstände wie Schnee, Regen, zuviel Sonne oder auch mal wegen zu weniger Mitarbeiter/-innen, wie in Mainz. Worum geht’s also?
Großindustrielle drohen bereits mit einer ins Stocken geratenden Produktion. Ja um Himmels willen! Kommt mein iPhone 6 jetzt einen Tag später? Ja sorry, aber dann ist der Streik der GDL echt doof. Sowas von doof! Ob die Deinen Neuwagen aus dem Produktionsüberschuss oder direkt vom Band holen ist mir egal, aber mein iPhone? Ne sorry, da hört der Spaß auf. Echt mal. Glaubt irgendwer – ernsthaft –, dass nun unser fein-fakes German Wirtschaftswunder zusammenbricht, weil ein paar Züge nicht fahren? „Deutschland verliert Status als Exportweltmeister wegen GDL-Streik“. Vielleicht schon morgen Schlagzeile der Bild. Die haben sich ohnehin auf die GDL eingeschossen. Das wäre für mich übrigens spätestens der Zeitpunkt, an dem ich die eigene Position überdächte. Im Einklang mit der Bild? Doch eher ungern. Dann doch lieber im Einklang mit der Anstalt (ZDF), in der es richtig hieß, dass das Streikrecht für die Lokführer mit der Privatisierung der Bahn erst eingeführt wurde. Die Privatisierung fand irgendwie keiner doof, aber die neuen Rechte anwenden? Das war nicht so geplant? Doof.
Also was? Ist streiken doof? Oder nur wenn’s eine Institution tut, bei der es mal unsere Bequemlichkeiten trifft? Lese ich Schlagzeilen in der Bild oder endlose Posts bei Facebook, wenn Metaller, Krankenschwestern oder Lehrer/-innen in den Streik treten? Nö. Betrifft mich nicht, lass die mal machen, haben die bestimmt verdient, werden gewiss ausgebeutet. Und was interessiert mich schon, ob so’n Stahlträger am Ende drei Euro mehr kostet. Wenn ich einen brauche, kann ich mir die drei Euro auch noch leisten. Wo waren die ganzen Motztüten eigentlich in den Achtzigern, als der öffentliche Dienst gestreikt hat und Dein Müll mal gerne 14 Tage bis drei Wochen vor der Tür liegen blieb. Das war echt doof, sag ich Euch.
Lass’ Dich also nicht verführen von den Meinungsmachern, die sich Journalisten nennen, nur weil es Dir selbst mal ein bisschen unbequem wird. Es ist wohlfeil, auf Weselsky herumzuhacken, der die Chuzpe hat, gegen den Strom der – nennen wir sie einmal – besorgten Bahnfahrer zu halten. Und es ist ebenso wohlfeil, Mikrofone unter die Nasen von Menschen zu halten, die – nachvollziehbar schlecht gelaunt – mal ein bis zwei Stündchen wartend am Bahnhof verbringen müssen. Mit der Berichterstattung unter deren geschundenem Gewand das ganze daherkommt, hat diese schäbige Meinungsmache nichts zu tun. Es ist ein Kreislauf aus hochgekochter Volksseele und sich daran anbiederndem Geschreibsel, das letztlich dazu führt, dass es common sense ist, den Streik der GdL irgendwie doof zu finden. Nicht differenziert doof oder aus Gründen doof, sondern doof – und das bitte laut und in allen Kanälen, die Otto Normal derzeit zur Verfügung stehen. Feini.
Hüpfen wir doch mal kurz runter vom Ich-bin-so-sauer-ich-poste-was-in-Facebook Sofa und gucken, ob sich in all dem Getöse noch ein paar Fakten-Fakten-Fakten finden (im Magazin mit diesem Slogan würde ich sie übrigens am wenigsten suchen). Die GdL hätte bitte gerne 5% mehr Lohn und 2 Stunden (noch 39 dann 37) weniger Arbeit für ihre Mitglieder. Lokführer/-innen der deutschen Bahn verdienen zum Einstieg ca. 2.200–2.900 und nach 10 Jahren Berufserfahrung bis zu 3.100 Euro. Brutto! Dass am unteren Ende des Gehaltszettels nettomehr so viel rauskommt, kann man grob überschlagen. Natürlich erhalten Lokführer Zuschüsse. Das aber ist keine Sensation. Jeder Angestellte, der nach 18 Uhr, Nachts oder an Wochenenden und Feiertagen arbeitet erhält Zuschüsse bis zu 100% des für ihn oder sie geltenden Stundenlohns. Solche Zuschläge auf das reguläre Gehalt zu rechnen ist schäbig. Wer auf diese Weise mehr Geld verdienen möchte, möge in Schichten arbeiten – lustig ist das nur bedingt. Ich fand’s auf Dauer schonmal eher doof.
Außerdem – und das ist zumindest der Bahn der größere Stein des Anstoßes – erlaubt sich die GdL, die in ihr organisierten Zugbegleiter/-innen vertreten zu wollen. Was für mich vor allem wie ein Akt der Solidarität mit den Mitglieder/-innen aussieht, die eben nicht in einem Führerhäuschen sitzen, gefällt der Bahn nicht, weil sie dann dieselbe Berufsgruppe (je nach Gewerkschaftszugehörigkeit) verschieden besolden müsste. Wenn mir jemand den Betrieb zeigt, in dem jede/r der/die das Gleiche schafft auch das Gleiche verdient, dann höre ich an dieser Stelle eventuell einen kleinen Moment lang zu. Und der EVG gefällt’s schon gar nicht. Diese EVG nämlich vertritt wohl mehr Zugbegleiter/-innen als die GdL, aber eben weniger Lokführer/-innen. Und die EVG hat sich von der Bahn mit 1,5% mehr Lohn abschmatzen lassen und ist nun lieber wütend auf die GdL, die so vehement für ihre Ziele eintritt, als auf sich selbst für den schlechten Abschluss. Das zumindest wollen uns ihre Vertreter gerne weismachen.
Und wo ich es gerade vom Vertreten habe, machen wir uns doch mal in einem nix vor: Herr Weselsky kann diesen Streik nicht alleine führen. Der Streik ist das Ergebnis einer Urabstimmung innerhalb der Gewerkschaft, das Ergebnis eines demokratischen Aktes also, und er wird offensichtlich breit getragen, sonst fände er schlichtweg nicht statt. Ich würde zu gerne sehen, ob Frau Merkel einen ähnlichen Anteil von Streikenden vorfände, riefe sie ihr Kabinett dazu auf, sämtliche Nebeneinkünfte einen Monat lang zu bestreiken. Man muss kein Prophet sein, um hier an der nötigen Solidarität zu zweifeln.
Solidarität aber gibt es innerhalb der GdL. Und ich möchte sie der EVG ans Herz legen. Und noch mehr möchte ich sie Dir, Dir und Dir ans Herz legen. Denn das worum es eigentlich geht ist wichtig. Es geht um vernünftig bezahlte Arbeit, statt um immer schlankere und effizientere Konzerne. Und die Umkehr der Schuld, die hier so breit betrieben wird, ist gefährlich und wird nur noch gefährlicher, wenn wir uns tatsächlich dazu hinreißen lassen, in dasselbe Horn zu stoßen. Warum gilt die GdL als stur und Herr Weselsky als machthungrig? Wenn sich zwei Parteien am selben Tisch nicht einigen, dann liegt doch die Schuld bei beiden. Und „machthungrig“? Ich bin sicher, Herr Weselky weiß, wie man sich in Deutschland nach oben schläft und buckelt, wie man zu den Häppchen und zum Champagner eingeladen wird und wie man sich als Mehdorn-Gedenk-daskannichauch-Profi von einem Pöstchen zum nächsten hangelt. Wenn Macht sein Ziel ist, dann hat er’s gründlich vermasselt. Dann hat er sich mit genau jenen angelegt, bei denen sich andere einschleimen und sich damit eine Machtposition – im gängigen Sinn – gründlich verbaut.
Die Bahn, die Medien und eine brummelnde Mehrheit schaffen es zur Zeit aber, jegliche Schuld bei der GdL zu finden. Ich weiß nicht, was Herr Meselsky am 11.09.2001 gemacht hat, aber vielleicht sollte man sein Alibi überprüfen. Dass aber dieser Tage kaum noch jemand zum Bahnhof läuft, um sich ein tatsächliches Bild der Dinge zu machen (ich fand, es fuhren erstaunlich viele Züge in Frankfurt), ist doch das Verschulden der Bahn und der Politik. Diese beiden haben dafür gesorgt, dass wir heute einem Fahrplan nicht weiter trauen, als wir einen ICE schieben können. Zugausfälle, eingefrorene Weichen, ausgefallene Klimaanlagen, häufig unfreundliches, meist zu wenig Personal und diese idiotischen relativen Zeiten bei S-Bahnen, das alles hat sich nicht die GdL ausgedacht. Es ist die Summe aus dem Fokus auf den immer noch als Allheilmittel und Ausdruck des Seins geltenden Individualverkehr und der Profitorientierung der Bahn, die das Misstrauen geschaffen haben, aufgrund dessen es während des Streiks am Frankfurter Hauptbahnhof so ruhig war. Die Bahn war dabei besser als ihr Ruf, aber was ihre Vertreter derzeit rufen, möchte ich nicht hören müssen – und schon gar nicht von Massen und Medien als die Wahrheit verkauft bekommen.
Das meiste ist nämlich ziemlich doof.
PS: Frau Merkel schloss sich dem Chor nun an und rief ebenfalls die GdL zur Mäßigung. Warum auch nicht. Derzeit bekommt man offenbar Applaus, wenn man das zehnfache derer verdient, die man zur Ordnung ruft, solange man nur nicht die Kühlkette unterbricht. 5% von 2.800.– € sind 140,– €, auf’s Jahr also 1.680,– € Brutto. Würde Herr Gauweiler nur seine Nebeneinkünfte von ca. 500.000 € im Jahr spenden, könnte er damit die Lohnforderung von ca. 297 Lokführern decken. Aber gut, wovon soll der arme Mann Leben, mit dann nur noch um 180.000 € im Jahr, inkl. Fahrer, Büro und was man eben so zum Überleben braucht.
PPS: Wenn es gelungen ist, dass Geringverdienende auf Wenigverdienende einhacken, dann sind wir am Arsch.