Im Topia nichts neues
Eigentlich wusste ich ja, dass es nix werden könnte. Es ist halt Fernsehen. Und deshalb sollte ich mich auch gar nicht aufregen. Aber die Idee hatte was und ich sah irgendeine Chance, als Sat1 sein „größtes TV-Experiment aller Zeiten“ ankündigte. 15 Pioniere, die ein Jahr lang eine eigene Gesellschaft erschaffen können – ohne Regeln. Klang spannend. Dann kamen die Euro.
Ich dachte schon bei den ersten Teaser-Trailern im vergangenen Jahr: Schade, eine spannende Idee, selbst wenn es nur Big Brother mit anderen Mitteln ist, aber warum muss man solche „Welten“ immer zurück ins Mittelalter verlegen? So dacht‘ ich, weil’s eben schon in den Trailern so aussah, als müssten die Jungs und Mädels bei Null anfangen. Es ist aber 2015 – und „Null“ ist nicht im Angebot.
Als der Käse dann vor Kurzem losging, sollten sich meine ersten Befürchtungen bewahrheiten. Die „Pioniere“ (so nennt Sat1 sie, ich habe keinen gesehen) zogen auf ein Stückchen Land mit einem Stall inklusive Kuh und Hühnern (Milch und Eier eben) und einer eigenen Behausung ohne Heizung und ohne fließend Wasser. Und ich wieder so: Warum? Warum schickt man ein Häuflein 2015-ler in eine kalte Hütte ohne fließend Wasser? Welches der beiden Güter, die überall um den Acker mit den hohen Zäunen herum zur Verfügung stehen, diktiert eine Gesellschaftsform und muss deshalb weggelassen werden?
Per Verstand ist das nicht zu lösen. Es wird mir niemand erzählen wollen, dass Utopia zur Diktatur wird, weil es fließend Wasser gibt. Und warum müssen sich „Pioniere“ in 2015 erst ihr eigenes Klo schaufeln, ehe sie in Ruhe scheißen können? Ist eine funktionierende Toilette der Vorbote des Kommunismus? Bullshit! Selten hat das Wort besser gepasst. Solche Einschränkungen haben also mit dem großangekündigten Experiment und der Gründung einer ganz neuen Gesellschaft herzlich nichts zu tun. Sie entstehen aus Show-Erwägungen und damit ist das Einstiegsversprechen bereits gebrochen.
Aber es wäre keine Show von John de Mol, käme es nicht noch dümmer. Ganz ohne mir den Einzug – oder sollte man in dem Fall Auszug sagen – angeschaut zu haben, wurde recht schnell klar: die Pioniere haben zwar kein fließend Trinkwasser und sind dazu verdonnert, sich die Ärschelein abzufrieren, aber sie haben 5000 Euro. Äh, wie bitte? Jupp, 5000 Euro, mit denen sie beispielsweise Ofen, Wasserrohr, Saatgut oder einfach Zigaretten und was zu fressen kaufen können, bis sie eben futsch sind, die 5000. Aha? Kein fließend Wasser, aber 5000 Euro, ja? Ja. Aha. Und damit’s nicht futsch geht, das feine Geld, können/sollen die Pioniere schauen, wie sie mehr davon bekommen können. Per Verkauf, Führungen durch’s Camp oder indem sie ihre durchgefrorenen Ärschelein hinhalten, da macht Sat1/de Mol keine Vorschriften. Ist ja Newtopia – und da gibt’s keine Regeln. Aber Geld gibt’s da. Wie nutopisch!
Ich dachte, es hieße Newtopia, weil Menschen, frei von Regeln, miteinander eine eigene Gesellschaft entwickeln sollen. Nun scheint, es heißt Newtopia, weil es (schon im Ansatz) utopisch weit von allem weg ist, das vernunftbegabte Wesen für die Chance auf etwas Neues halten würden. Geld gibt’s in Newtopia. Neben der Angst das zweitbeste Mittel zur Unterdrückung, das die Menschheit je geschaffen hat. Und Sat1 will mir/uns – eine Frechheit uns für so blöde zu halten – „verkaufen“, dass es unter diesen Umständen möglich sei, eine neue Gesellschaft wachsen zu sehen, auf einem eingezäunten Acker, der Geld und die finanzielle Interaktion mit der Außenwelt benötigt, um fruchtbar zu werden.
Wer es nicht für verwerflich hält, Menschen einzuzäunen und zu filmen, der möge Big Brother gucken, das sei eine andere Debatte. Aber ich HASSE falsche Etiketten. Newtopia? Eine neue Gesellschaft basierend auf alten Unterdrückungsmechanismen? Sozialismus, der auf Kapitalismus wächst? Die Macher der Show soll der Blitz beim Scheißen treffen, mich so zu verarschen und eine solche Chance zu vergeben.
In Newtopia gibt’s nun Bankers Businessplan statt bolschewistischer Bäckerei. Die Grundversorgung muss gesichert und Luxusgüter eingekauft werden. Geld wird ausgegeben und neues muss her. Das ist albern! Eine gesicherte Grundversorgung und ein Minimum an aktuell in Deutschland gewonnenem Luxus wären eine Chance gewesen zu sehen, ob Menschen etwas Neues schaffen können. So ist es nur konformistische Scheiße, die weg muss und die niemand sich anschauen sollte. Es ist Big Brother 2.0 und die Schlammschlacht der Dumpfbirnen dauert diesmal 365 Tage. Nimmt man das holländische Original zum Vorbild, dann sogar noch länger. Ich kotz in’s Erdloch!