Joggst Du noch oder amokläufst Du schon?
Mitgefühl ist die einzig erlaubte Regung, wenn Kinder sterben. Und wenn sie getötet werden, sind es Trauer, Mitgefühl, Entsetzen, Anteilnahme usw. usf. Mehrmals im Jahr stimmt nun der Chor der Entsetzten denselben Gesang an und wer nicht mitfühlt, gilt als respektloser Zyniker. Es tut mir leid, Trauernde, ich habe kein Mitgefühl mehr übrig – es ist aufgebraucht.
Fassungslos, entsetzt, schockiert, wütend, traurig – die Liste der Begriffe, die gebetsmühlenartig, mittlerweile mehrfach im Jahr, durch die Weltpresse gehen ist lang und klingt beliebig. Wieder einmal ist ein amerikanischer Junge – aufgewachsen im Waffenwahn seiner Erzeuger – durch eine Schule gezogen und hat um sich geschossen. Und wieder einmal stellen sich weltweit Politiker vor Mikrofone, um ihre Trauer und ihr Mitgefühl mit den Angehörigen auszudrücken. Und wieder einmal verirrt sich die Weltpresse in Analysen, die je nach eigener Haltung dieses oder jenes verantwortlich machen, nach einem Motiv suchen (ein Motiv für einen Amoklauf – sind denn alle bescheuert?) und jeden noch so dünnen Krümel Hörensagens als Fakten verkaufen. Da werden tatsächlich Ex-Mitschülerinnen in amerikanischen Nachrichtenstudios (ich traue mich kaum sie so zu nennen) danach gefragt, was er denn so für einer war, der Killer. Einer von den Stillen war’s mal wieder. Lebte zurückgezogen, aber freundlich war er, naja – irgendwie hatte man schon immer gewusst, dass da was nicht stimmt. Einzelgänger halt.
Vor diesem Getöse und Gedönse sitzt man dann – also ich sitze da und frage mich, ob ich das lächerlich finden darf. Ob es respektlos ist, dass sich Trauer nicht mehr so recht einstellen will, weil ich nicht mal mehr weiß, ob das nun ein neuer Amoklauf ist, oder die Wiederholung von dem aussem Sommer, oder aus dem letzten Jahr, oder dem davor.
Da sitze ich also und frage mich, ob ich jetzt zynisch werde, oder abgestumpft oder was mit mir nicht stimmt. Aber wie ich’s auch dreh‘, ich komme zu dem Schluss, dass es nicht an mir liegt. Die Situation und speziell ihre Wiederholung ist zynisch und deshalb bräuchte es im Umgang damit mehr Mut und das hier ist mein Weg, diesen aufzubringen. Denn es ist lächerlich, sich bei jeder Wiederholung dieser zweifellos schrecklichen Tat immer wieder aufs Neue vor die Presse zu stellen und Mitgefühl auszudrücken. Es ist lächerlich und in höchstem Maße zynisch, denn es ändert nichts. Und wer nicht bereit ist, seine Redezeit vor den Mikrofonen der Hofberichterstatter dazu zu nutzen, etwas zu ändern, der ist im Umkehrschluss dafür verantwortlich, dass sich dieselbe Tat wiederholt.
Wie oft noch will sich die regierende Kaste der westlichen Welt vor Mikrofone stellen und „den Angehörigen mein Mitgefühl“ ausdrücken, um gleich anschließend so weiter zu machen wie zuvor? In welcher Frequenz müssen diese Amokläufe auftreten, damit außer mir noch jemand denkt, dass genug Mitgefühl geschwätzt wurde, 14-tägig? Vielleicht kämen sich die Damen Merkel und Westerwelle dann endlich selbst blöd vor, denselben Satz schon wieder zu sagen. Wann endlich hat eine/r der „Mächtigen“ tatsächlich den Arsch in der Hose zu sagen: Scheiß auf die Waffenlobby und ihre verkorksten Vertreter. Der Dreck muss raus aus amerikanischen Haushalten – das ist weder besonders verwunderlich, noch irgendeine Neuigkeit. Dieses verlogene Mitgefühl kotzt mich an und hat einzig den Zweck über die Verantwortung hinwegzutäuschen – über das Blut an den Händen derer, die nichts ändern.
Und das zu benennen ist weder zynisch noch darf es verboten sein oder als respektlos gelten. Natürlich muss es furchtbar sein, wenn das eigene Kind ermordet wird. Aber wenn der Ausdruck des Mitgefühls dazu führt, dass auch 2013 in amerikanischen Schulen geschossen wird (Was ist es eigentlich, dass die Jungs immer in Schulen zieht? Eigenartiger Trend.), dann ist Mitgefühl falsch.
Ich muss, wenn ich das sehe, lese und höre, an Homer Simpson denken, der auf die heiße Herdplatte greift und „Aua“ sagt, nur um dann wieder auf die heiße Herdplatte zu greifen… „aua, aua, aua…“.
Wahrscheinlich sind die Simpsons an allem Schuld – oder die Videospiele.