Perfekt am Ende
Expect perfect. Perfekter Halt. Das muss perfekt werden. Das perfekte Dinner. Perfekte Autos, perfekte Akustik, perfektes Make-up, perfekte Beratung, perfekt schlafen, perfekt reisen, perfekte Drucksachen, perfekte Küchen. Der Duden schreibt zu perfekt: „1. frei von Mängeln, vollkommen. 2. (umgangssprachlich) endgültig abgemacht; nicht mehr änderbar“. Na, merkste was?
Manchmal wäre ich gerne Germanist oder Linguist. Dann könnte ich evtl. den Zeitpunkt bestimmen, zu dem aus „perfekt“ „passt scho“ wurde. Wobei das gar nicht schlimm ist. Blöd ist, dass perfekt noch immer wie perfekt gehandelt wird und nicht so sehr die Bedeutung abhanden gekommen ist, sondern vielmehr das Bewusstsein für die eigene, unausweichliche Unzulänglichkeit. Das heißt, es ist gängig nach Perfektion zu streben, sie zu verkaufen und sie zu verlangen – und das ist nunmal Käse.
„Frei von Mängeln“. Einfach mal wirken lassen.
Da gibt es dieses simple Problem: Wir sind endlich. Wir sterben. Biologie abgelaufen, Zeit vorbei, Abgang. Gar nicht so einwandfrei, fehlerlos, mustergültig, ohne Makel und besiegelt, um nur ein paar der offiziellen Synonyme zu nennen. Gut, der Tod ist natürlich ziemlich endgültig, abgeschlossen, vollendet, vollkommen und vollzogen, aber den meint Mensch ja nicht, wenn es nach Perfektion strebt. Ein bisschen tragisch klingt das schon. Und nützlich ist es offenbar auch nicht. Entspannen wäre ein gutes Konzept.
Wir sind keine perfekten Wesen. Wie auch? Die Kirchen kennen ein perfektes Wesen – ein transzendentales. Cool soweit, aber von unserer eigenen Existenz weit entfernt. Und selbst dieses perfekte Dings hat in jeder Kirche einen anderen Namen. Auch eine interessante Sicht auf die Perfektion. Zumindest was diese angeht, sind sich die Glaubenden einig. Allein der Umgang der Religionen miteinander schafft nicht einmal ein „passt scho“. Ich würde es einigermaßen perfekt finden, wenn die fundamentalistischen Anhänger dieser sogenannten Gemeinschaften ihr eigenes Streben deutlich verkürzen und die Perfektion entsprechend schneller erreichen würden, heiße sie Nirwana, Paradies, Gan Eden oder Dschanna.
Selbst dort, wo man das Geschwätz vom Perfekten erwartet, wird’s reichlich absurd, wenn man das Wort bei seiner tatsächlichen Bedeutung nimmt. Perfekte Wimpern. Wie mag das gehen? Gibt’s da einen Radius, den plötzlich jede Wimper einhält? Eine perfekte Länge, auf die alle gleichzeitig gestutzt werden, wenn man nur die richtige Tusche verwendet? Wird das von Mikroorganismen geregelt? Klingt eher gefährlich. Oder „perfekter Halt“. Wie oft hört man im Zusammenhang mit Haarspray vom perfekten Halt. Uuuuuuh! Vorsicht! Ist der Halt Deiner Haare zu irgendeinem Zeitpunkt perfekt, bekommst das Zeug folgerichtig nie wieder raus. Nichts bewegt sich mehr – nie mehr. Ich nehm’ weiterhin das Zeug, das so tut, als pappte es ein paar Strähnen mehr oder weniger solide zusammen. Dir viel Spaß mit perfektem Halt.
Und was macht man im perfekten Urlaub? Erlebt man den perfekten Augenblick/den perfekten Moment? Das wäre allerdings noch ein wenig schlimmer als der perfekte Halt, nicht wahr? Denn wenn der Moment perfekt ist, ist er vollkommen vollendet. Bleibt also die Zeit nicht stehen, muss sofort danach das Ableben stattfinden. Besser wird’s nicht. Bliebe zu klären, wie lang der perfekte Moment sein darf. Der vollkommen vollendete Moment kann ja nur den kleinsten denkbaren Zeitraum lang dauern, sonst ist er ja schon vorbei – seine Perfektion verflogen. Mich gruselt’s da. Und natürlich bin ich an den guten Faust erinnert: „Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! Du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!“. Perfekt.
Aber weg von den Werbeversprechen. Dort ist der Superlativ und sind Sternchen am Text erlaubt. Dort also ist das Geschwätz von Perfektion genau das: Geschwätz. Aber dieser idiotische Anspruch greift in unsere Leben, er greift in unsere Arbeit und in unsere Erwartungen an uns selbst. Und wo das gelungen ist, ist perfekt dem Glück im Weg. Wenn wir nach Perfektion streben, können wir niemals glücklich sein, denn wir können unmöglich perfekt sein – glücklich schon.
Wir müssen also aufhören, etwas perfekt machen zu wollen. Vor allem dürfen wir uns nicht auf das dünne Eis führen lassen, auf das uns Kunden, Kollegen und Vorgesetzte so gerne mit fester Hand und bestem Glauben zerren, wenn sie fordern, etwas möge perfekt sein.
Wir sind nicht perfekt. Vielleicht ist Mathematik perfekt. Und ich schreibe „vielleicht“, weil ich im Grunde davon ausgehe aber einfach zu wenig von dem langweiligen Zeug verstehe. Geometrie ist perfekt. Gleichschenklige Dreiecke, Quadrate, Kreise, alles perfektes Zeug. Ihre Anwender sind nie perfekt. Das sind dieselben Kasper, die wir sind, nur mit Spezialwissen. Vielleicht ist das Universum perfekt. Aber mit all dem lustigen Zeug, das darin herumfliegt, ist das auch ein bisschen geschmäcklerisch: Schwarze Löcher, Meteoriten, Supernovä – im Ganzen mag das wieder Sinn machen, vielleicht sogar perfekt sein, aber das wenig perfekte Menschlein wird das kaum je begreifen. Vielleicht ist auch die Natur perfekt, was auch immer der Begriff dann genau beschreibt. Sie hält sich zumindest recht wacker unter Dauerbeschuss durch den Menschen. Vielleicht ist das ja aber auch Teil des Plans. Wie George Carlin einmal sinngemäß sagte: „Der Planet ist toll, die Menschen sind scheiße … vielleicht ist das der Grund warum wir alle hier sind: der Planet benötigt Plastik.“
Wie gesagt, das alles entzieht sich unserem wenig perfekten Stand der Erkenntnis. Wir sind eben nur dreidimensional und wir sind endlich. Also lass’ perfekt weg. Wenn Dir etwas wichtig ist, dann mache es so gut, wie es Dir möglich ist. Merze die Fehler daran aus, die Du erkennst. Lass’ andere einen Blick darauf werfen, wenn es noch besser sein soll, als Du selbst es kreieren kannst. Lass’ noch mehr Leute darauf schauen, wenn Du Dir unsicher bist und wenn diese über spezielles Wissen verfügen, das der Kreation/dem Projekt helfen kann. Aber lass’ die Unsicherheit nicht über Deine Kreation siegen. Versuche nicht, sie perfekt zu machen – Du musst daran scheitern. Und je mehr Meinungen Du abfragst, desto mehr Meinungen wirst Du bekommen, dazu angetan Dich zu verunsichern.
Ich bin ja selbst nicht davor gefeit, Dinge perfekt machen zu wollen. Ich müsste allerdings mindestens einen Crashkurs in Interpunktion machen, um besser zu sein als jetzt. Die Häkchen und Kreise im Text sind mir aber nicht so wichtig. Meist setze ich sie da, wo ich beim Betonen kurz durchatme. Das ist hin und wieder falsch. Fifty/fifty, würde ich sagen. Aber wir werden’s unverletzt überstehen. Rechtschreiber sind mir peinlich, deshalb versuche ich sie zu vermeiden. Supernovä musste ich nachschlagen und das ist mir die Mühe wert. Texte, die ich veröffentliche, lese ich auch noch ein paar Mal. Ich kürze sie, stelle sie um – was man eben so tut. Auch das sind sie mir wert. Und dennoch: perfekt sind meine Texte nicht. Sie sind so gut, wie ich sie eben schreiben kann. Gucke ich herum, was sonst so geschrieben wird und welche Fehler schreibenden Profis unterlaufen, dann finde ich meine Texte hin und wieder sogar richtig geil und ganz sicher ganz deutlich „passt scho“. Sonst blieben sie in meinem Texteditor und verstaubten digital. Das fände ich schade. Wie Du das findest ist Deine Entscheidung und die muss ja nicht perfekt sein.