Das Vom-Rechten-Weg-Abkommen

Demokratie. Fast möchte ich Mitleid mit Dir haben. Also mit Dir, dem Begriff. So häufig hört man Dich in letzter Zeit in Zusammenhängen, die eine solch brutale Vergewaltigung Deiner Idee sind, dass es rührend wäre – wäre es nicht so abscheulich. Der jüngste Anschlag auf Dich kommt im fein glänzenden Kleidchen des Partnerschaftspakts der EU mit der Ukraine.

Es ist unterschrieben, das Läppchen – seit einer Woche knapp. Zeitnaher kam ich nicht dazu, dazu zu schreiben, aber Papier gilt ja als geduldig. Und Geduld muss man schon mitbringen, wenn man sich anschaut, wer da was unterschrieben hat und wie falsch die Etiketten am Getöse um die und in der Ukraine sind. Wobei Geduld – ich weiß nicht – es braucht schon eher Gleichgültigkeit, ja fast Ignoranz, damit man nicht nach Berlin fährt (zuvor oder anschließend nach Brüssel), und ein paar UnterzeichnerInnen mal ordentlich eins in die Fresse schlägt.

Worum geht’s im Pakt, der sich als humanitäre, demokratische Unterstützungsleistung tarnt? Na, selbstverständlich darum, dass sich die Ukraine zur Respektierung der Menschenrechte verpflichtet. Ach, und zur freien Marktwirtschaft. Die ist ja bekanntermaßen heilbringend. Wir lernen: Menschenrechte + Marktwirtschaft = Demokratie. Das war leicht. Und damit uns diese simple Weisheit nicht verloren geht, ist sie das Mantra aller europäischen und amerikanischen Verfehlungen in der Welt. Schließlich geht es ja um die armen Geknechteten. Es geht um lupenreine Demokraten, die befreit werden müssen, aus der hässlichen Klaue Russlands. Robin Europa Hood schwingt sich auf, König Putin die Stirn zu bieten, um den Ärmsten der Armen ein bisschen Glück zu spendieren. Damit das auch was wird mit der Marktwirtschaft, wirft der IWF auch gleich einen seiner Kredite mit ins goldene Töpfchen am Ende des Regenbogens. Das hat schließlich schon die Iren, Griechen, Spanier, Portugiesen etc. etc. zu so viel glücklicheren Völkern gemacht.

„Aber sag’, Mutti Steinmeier, wer ist denn diese Ukraine eigentlich, die da unterschrieben hat?“ Die Frage fehlt mir. Denn vom ewig gleichen – zum Scheitern geborenen – Inhalt abgesehen, ist es interessant, mit wem die EU da jüngst paktiert. Dieselben Politidioten, die die Volksabstimmung auf der Krim für ungültig und zur Völkerrechtsverletzung erklären, unterschreiben einen Pakt mit ein paar Demonstranten. Ich erinnere mich gar nicht an Assoziierungsabkommen mit dem ägyptischen Militär, den tunesischen Aufständischen oder Blockupy. Ich habe ja nichts dagegen, wenn aus einer Demonstration eine Übergangsregierung entsteht. Das sollte doch Leben in die Bude bringen und für einigen Gesprächsstoff – am Ende vielleicht für sowas wie Demokratie – sorgen. Aber dann doch gleiches Recht für alle. Occupy-Frankfurt hatte den Platz vor der EZB sicher länger besetzt, als die Faschisten den Maidan, trotzdem wurde diesen Damen und Herren nirgendwo ein roter Teppich zum Staatsbesuch ausgerollt.

Ich schwiff ab. Für die Ukraine scheint hier ein Sondervölkerrecht zu gelten. Völkerrecht, noch so’n Begriff, der zur Zeit per Gebetsmühle auf uns eingedroschen wird, damit wir nur das humanitäre Mäntelchen nicht übersehen. Die Ukraine ist nah am Erzfeind, dem Russen. Das scheint auch 2014 zu funktionieren: Was den Russen von Europa fernhält, ist erlaubt und was erlaubt ist, ist automatisch Völkerrecht und selbstverständlich demokratisch. Deshalb macht’s nix, wenn man nicht auf die Details guckt: In Kiew regiert zur Zeit ein Haufen von Demonstrationsführern, zum großen Teil widerliche Faschisten, die auch vor dem Gebrauch scharfer Waffen nicht halt machten. Und dieser Haufen entscheidet über Weh und Wohl der Ukraine. Demokratisch legitimiert? Fehlanzeige. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, das mag man ihnen zugestehen. Zum Teil sogar prominent, das mag sein. Aber Repräsentanten? Wessen? Kiews? Sicher keine Repräsentanten der Krim, über deren Volksentscheid man denken kann, was man will – rein äußerlich war er der bisher einzige demokratische Akt in der Ukraine seit dem Ausbruch der Proteste auf dem Maidan.

Zugegeben, äußerlich. Ich weiß nichts über die möglichen Repressionen, die es auf der Krim gegeben haben soll oder tatsächlich gab. Ich weiß aber, dass die schweigende Mehrheit der Ukrainer und Ukrainerinnen bisher nicht darum gebeten wurde, über ihre Repräsentanten abzustimmen. Was ist das also? Ein runder Tisch? Eine Junta? Oligarchen? Also solche, denen man den Hahn zudreht, wenn sie aus Russland kommen, aber IWF-Geld nachwirft, wenn sie sich ins Ukrainische Parlament prügeln? Putschisten sind es jedenfalls nicht – das Militär scheint sich vor allem um den Abzug von der Krim kümmern zu müssen. Paramilitärs vielleicht, aber das macht noch keinen Putsch. Was ich ebenso weiß – und z.B. Seehofer sicher noch besser – ist, dass die CSU ihre Stimmen bei Bundestags- und Landtagswahlen nicht in München holt, sondern auf dem Land. Was ich nicht weiß ist, was die ukrainische Landbevölkerung eigentlich von all dem hält, was ihr da von der EU und anderen Wilden aktuell so aufassoziiert wird. Gerade was den Erhalt ländlicher Strukturen angeht, ist ja des einen Völkerrecht gerne des anderen Untergang.

Barack Obama und die EU kolonialisieren ungeniert in Osteuropa herum – unter der Glorie des Friedensnobelpreises, von dem ich nur annehmen kann, dass er mittlerweile auch käuflich ist, und/oder Frieden und Marktwirtschaft ebenso verwechselt wie andere Demokratie und Marktwirtschaft verwechseln – das Adjektiv „frei“ will mir in dem Zusammenhang so gar nicht über die Tasten kommen. Ich weiß nicht, was die Ausgezeichneten in der Ukraine wollen. Die einfachste Erklärung ist eine militärische – dieselbe, die man Putin (böser Russe) vorwirft. Unsere Kriegsministerin hat zumindest nichts anderes zu tun, als Truppen nach Osteuropa verschieben zu wollen. Sie hat sich mit Ihrer Haltung zu den Dingen ganz nach oben auf meine „Slap your face“-Liste gekämpft.

Es ist eine Frechheit, die Begriffe Demokratie und Völkerrecht jeweils so zu beugen, wie man sie gerade braucht. Es ist nicht jeweils das demokratisch oder völkerrechtlich richtig, was uns gefällt. Ein Maßstab sollte auf solche Begriffe angelegt werden und während Demokratie noch ein abstraktes Konstrukt ist, sollte zumindest beim Völkerrecht der Juristerei geschlossen die Hutschnur wegfliegen, wenn ihr die Deutungshoheit aberkannt wird. Kein Staat und kein Staatenbund hat mit illegitimen, so genannten Volksvertretern zu paktieren. Dass diese speziellen hier obendrein Faschisten sind, setzt dem ganzen die Krone auf.

Ich habe diesen verlogenen Pakt nicht unterschrieben und ich hätte nicht. Ich bin nicht gefragt worden. Niemand in der EU ist gefragt worden. Wenn 2014 der Preis unserer repräsentativen Demokratie schon wieder der Faschismus ist, dann sind – mehr denn je – neue Ideen gefragt.