Wir müssen Indianer sein.
Wisst Ihr noch, in den Neunzigern? Da waren wir Trendsetter. Die Parties waren geil, die Musik war geil, es ging noch um ein bisschen Restakzeptanz und die Heteros haben immer mal staunend geguckt und zwei bis drei Jahre später denselben Sound gehört und dieselben Klamotten getragen. Und jetzt? Jetzt habt Ihr’s geschluckt, oder? Nenee – nicht auf die gute Weise. Viele denken offenbar: „Jetzt isses geschafft.“ Ein Scheiß!
Jetzt sind wir also dazu übergegangen, den Massenmedien nachzuplappern und immer genau so viel Entrüstung zu investieren, wie es für unsere Pfründe noch eben angemessen scheint. Zum Kotzen. Ehrlich.
Greifbar wird die homosexuelle Meinungsäußerung für mich bei Facebook. Denn dort wird mir anhand meiner schwulen Bekannten Zugang zur Restmeinung gewährt, selbst wenn ich sie nicht bestellt habe. Und geht’s um den Frankfurter Kessel am 1. Juni, dann wird sozialdemokratisch hinterfragt und zwar so sehr, dass sogar die Neofaschisten von Blu-news zitiert werden, die sich nicht zu blöd sind, die Frankfurter Rundschau als linksradikal zu bezeichnen und die sonst im Umgang mit Schwulen und Lesben auch nicht eben zimperlich sind. Für die Distanzierung von Blockupy ist dem gemeinen Schwulen dann kein Faschist zu schade. Schade!
Ein mir entfernt bekannter Frauenkleidträger – dessen Profil bedauerlicherweise öffentlich ist – weshalb ich hin und wieder mit seinen Äußerungen konfrontiert werde – schreckt nicht einmal davor zurück, schwule Geschichte im Handstreich zu nivellieren, indem er sinngemäß zum Schlechtesten gibt: beim CSD brauche man ja keine solchen (vom Steuerzahler – also quasi von ihm persönlich – bezahlten) Hundertschaften, denn dort wäre man ja nicht radikal, bzw. werfe keine Farbbeutel und blockiere keine Läden.
Für diesen, der das in Facebook schrieb, kommt ohnehin jede Hilfe zu spät. Für jene, die es nur lesen und geneigt sind zu nicken, hier noch mal eine kleine Geschichtsstunde: CSD ist die Abkürzung von Christopher Street Day. Die Christopher Street liegt im Greenwich Village in New York City – in den Siebzigern eines der Zentren der Schwulenbewegung. Und der Christopher Street Day bezieht sich direkt auf die Stonewall-Riots, den Stonewall-Aufstand – eine der Initialzündungen der Schwulenbewegung. Und soviel sei noch einmal versichert: Bei diesem Aufstand hat sich niemand mit Farbbeuteln aufgehalten, wenn es darum ging, den Unterdrückern etwas an den Schädel zu werfen. Wir können also heute noch froh sein, dass jene, die sich heute über Blockupy echauffieren, damals nicht in der besagten Straße gelebt haben. Sie hätten die Aufständischen möglicherweise denunziert oder ähnlich deutschdemokratisch gehandelt. Deine Befreiung aber, mein lieber Schwanzlutscher, war kein Sonntagsspaziergang!
So hockt also der Schwule heute (sorry Mädels, was ihr so macht, weiß ich einfach nicht genau, deshalb halte ich an der Stelle die Klappe) vor Gayromeo, hört bei den Hofberichterstattern was von „gewaltbereiten Antikapitalisten“, macht sich kurz ein Tröpfchen ins Höschen und chattet dann weiter. So viel Zeit, das Ganze bei Facebook zu kommentieren, ohne dabei gewesen zu sein, so viel Zeit ist aber. Denn seine Meinung will er ja äußern, der Schwule 2013. Wenigstens hie und da und wenn ein Thema derart hochkocht, wie der Kessel es tat. Eine hohe Welle wird da nicht draus, schließlich wurden ja nur die per Grundgesetz verbrieften Rechte von ein paar Linken ausgehebelt.
Mal ehrlich, es gibt einen schwullesbischen Flügel in den Unionsparteien. Wie bekommt man die Übung denn hin? Und schaue ich auf die Webseite dieser Pfosten, ist man dort vor allem damit beschäftigt, sich von den Aussagen der Parteifreunde zur Homöhe zu distanzieren. Spürt Ihr noch was? Ich hätte da ’nen schönen neuen Namen für Euch, LSU: IbwlzbaisbGwd Zugegeben, nicht so griffig, aber der christliche Aspekt kommt nicht zu kurz. Zum Vorgehen des eigenen, hessischen Innenministers schweigt sich die LSU selbstverständlich aus. Das sind ja die und mia samma mia. Fickt Euch! Austreten ist die Antwort auf die Äußerungen Eurer Noch-Vorturner – die einzige Antwort!
Wehe aber – oder auch Juchhu – es geht ums Eigene: Schwulkram in den Nachrichten und schon ist Alarm auf Facebook. Wenn z.B. Putin tut, was er hauptberuflich tut, nämlich neue Formen der Repression von Minderheiten zu finden und dabei Schwule und Lesben quasi verbietet, dann ist Alarm. Dann reicht’s der Gemeinde, dann wird angeprangert, diskutiert und geteilt. Und wenn ein von zwei Lesben großgezogene Pennäler bei Anne Will sitzt und sich lässig gegen das überholte und ohnehin nie ernst gemeinte Blabla zweier verquarzter Muttis von der schützenswerten Ehe durchsetzt, dann ist ebenso großes TamTam mit dem Teilen von allerlei Links, Zitaten und was sich eben sonst so im weltweiten Web findet. Die vom Grundgesetz geforderte Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungen wird gefeiert, auch wenn klar ist, dass die Regierenden das Urteil des Bundesverfassungsgerichts so schmal auslegen werden, wie sie es nur können.
Und obwohl nun vor wenigen Wochen in Paris geschehen ist, was geschehen ist. Obwohl sich also in Paris (und die hatten wenigstens schonmal ne Revolution und mussten nicht bräsig befreit werden) der Ärger vieler Hunderttausender über Ihre beschissenen Lebensumstände zu Lasten der Gleichstellung Homosexueller Luft gemacht hat, seht Ihr den Zusammenhang noch immer nicht: Die Gräben wachsen. Die Illusion Mittelschicht wird immer dünner und immer mehr Menschen geraten in Nöte oder gar in Not – in Europa und auch in Deutschland, denn Profit und Wachstum sind derzeit der Antrieb der Regierenden. Und, Schwester, was glaubst Du gegen wen sich der Ärger in Deutschland entlädt, wenn die Not wächst? Glaubst Du Greti und Bleti gehen aufeinander los? Erinnerst Du Dich an Rostock-Lichtenhangen 1992? Glaubst Du, ein Asylbewerberheim kann die Ursache für sich entladenden Frust sein? Oder ist es nur ein Symptom? Und wenn ja, welche Minderheiten stehen dann denn zum Draufschlagen so zur Verfügung? Läutet’s langsam?
Wenn Du es also schon nicht schaffst, Dich mit denen zu solidarisieren, die sich derzeit europa- und weltweit für ein besseres Leben, für mehr Gerechtigkeit und für eine Umverteilung der gigantischen Reichtümer dieses Planeten einsetzen, dann denk’ einfach nur an Deinen eigenen Arsch und mal nicht daran, wie tief Du gerne den Schwanz des nächstbesten Romeonauten drin hättest. Denk daran was passiert, wenn mehr und mehr Menschen in den Abgrund rutschen und wie viel Deine „Gleichstellung“ dann noch wert ist. Denk’ darüber nach, was diese Menschen – heißen sie nun Blockupy, DGB, UmsGanze, FAU, Antifa oder Attac – für Dich tun und was Du für sie tun kannst und musst. Denn Gleichstellung, mein Lieber, kennt kein Geschlecht und keine Herkunft. Du musst sie wollen und meinen, aber dann kannst Du nicht aufhören sie zu fordern, wenn Schwänzelutschen eine Rechtsgrundlage hat. Selbstverständlich darf und soll das Zusammensein mehrerer Personen, die Verantwortung füreinander übernehmen vom Staat gefördert werden. Aber das ist die Grundlage – nicht das Ziel.
Und deshalb müssen wir aufhören, es uns auf dem Toilettenboden bequem zu machen, nur weil wir Angst haben, uns anderswo in die Nesseln zu setzen. Wenn Faschisten bei der CSD-Parade in Köln mitlaufen wollen, dann muss man die Parade absagen, oder eine klare politische Haltung dem gegenüber finden, anstatt sich wegzuducken und so zu tun, als wäre eine zahlenmäßige Überlegenheit Argument genug. Und wenn die USA jetzt – ebenso wie Deutschland – die Gleichberechtigung Homosexueller per Gericht verordnet bekommt, dann ist das kein Sieg und dann ist die USA kein Vorreiter. Es ist noch immer derselbe bigotte Scheißladen wie zuvor. Macht endlich den Kopf auf und schaut auf das, was offensichtlich zusammengehört, denn es ist ein Klischee, dass vielen von Euch Avatar gefallen hat. Das ist ein Cowboy/Indianer-Film und die Indianer gewinnen. Werdet endlich welche, denn wenn was die schwule Szene gerade zeigt Schwulsein bedeutet, dann bin ich ab sofort ein Demokrat der Schwänze lutscht, aber kein Schwuler mehr.