Okay, okay, so ganz geradeaus muss meine Haltung ja nicht immer sein und hie und da schlagen auch in meiner Brust zwei Herzen. Und ja: In Schulbüchern hat eine ausgrenzende, rassistische Sprache nichts verloren – raus damit. Ich würde die Lehrer, die derlei unkommentiert verbreitet haben, dann aber gleich mit aus unserem ach so fabelhaften Bildungssystem werfen. Und spätestens, wenn Pippi Langstrumpfs Vater kein Negerkönig mehr sein darf, wird’s absurd. Wie wär’s, wenn man die Bücher über die kleine Anarchistin gleich mal komplett umschreibt, damit unsere Kinder auch morgen noch fein in der Spur funktionieren.
Ich meine, die Sprache daraufhin zu untersuchen, ob sie ausgrenzt, ob sie wenig präzise und eventuell rassistisch oder sexistisch ist – gut und schön. Aber dieser wilde Aktionismus, diese hektische Betriebsamkeit, das sind eben in der Regel nur Nebelkerzen und selten ist das so augenfällig, wie bei der Diskussion um den schwarzen Mann in der Literatur.
Klar: In Schulbüchern hat der Neger nix verloren. Ob’s nun aber in einer Textaufgabe oder einem Diktat ein Schwarzer, ein Schwarzafrikaner oder überhaupt ein irgendwie einer Abstammung zuzuordnender Mensch sein muss, wenn’s auch ne Kuh täte, na, das sei dahingestellt. In manchen Büchern jedoch – eben nicht Schulbüchern – hatten die Begriffe zu ihrer Zeit zwar auch keine Berechtigung, man ging nur eben anders damit um. Und es wäre Aufgabe unseres Bildungssystems, solches entsprechend zu kommentieren, anstatt nun großen Bohau darum zu machen, dass man eingreifen und es ersetzen soll.
Wie wir sehen, ist das aus mehrerlei Gründen Käse. Erstens ist mir nicht aufgefallen, dass die Bürger des großen Vorbilds Amerika weniger vulgär unterwegs sind, seitdem man im TV alle Fucks, Sucks, Shits und Ähnliches wegpiepst werden. Und so recht friedlich kommen sie mir auch noch immer nicht vor. Und zweitens nutzt das Ausradieren von Negern und Mohren aus klassischer Literatur einen Scheiß, wenn man nicht gleichzeitig darauf achtet, wie ausgrenzend aktuelle Begriffe sind.
Oder kann mir jemand erklären, wie man das Kunststück hinbekommt einerseits „Neger“ und „Mohr“ aus Literatur, -küssen und -köpfen zu verbannen, andererseits aber von der Homo-Ehe zu sprechen und einen demokratischen Vorgang als „Chaos-Wahl“ abzukanzeln? In meinem verdrehten Kopf geht das nicht zusammen, aber ich glaube, er muss noch verdrehter sein, damit es funktioniert!
Dabei weiß ich gar nicht worüber ich mich mehr ärgern soll: Darüber, dass die Medien solche Begriffe benutzen oder darüber, dass man den Aktivistinnen selbst immer noch erklären muss, dass ihre Begriffe ausgrenzend sind. Scherte ich mich einen Dreck um staatliche Zettel an meinen privaten Verbindungen, dann forderte ich doch die Ehe und nicht eine Homo-Ehe. Und was ich mit Schwulenrechten soll, weiß ich auch nicht. Meine Rechte dürfen gerne heterosexuell sein, solange ich Zugriff darauf habe. Da bin ich tolerant und es wäre ja nicht wesentlich anders als bei vielen Hetero-Männern. Homo-Ehe. Das klingt ja noch beschissener als die Mogelpackung „Gleichgeschlechtliche Partnerschaft“ oder „Verpartnerung“, die dann von vielen noch als Sieg gefeiert wurde. Wie verdreht muss man denn da ticken? Also: Willste heiraten, dann verlang die Ehe. Der Begriff ist klar, die Vereinbarung ist klar – keine Ausgrenzung im Wort und endlich dürfen auch Schwule und Lesben mit dem Ring am Finger in Puffs und Swingerclubs. Jippieh. Hoch lebe das Sakrileg des amtlich beglaubigten, kirchlich abgesegneten Zusammenseins, das zu schützen es gilt. Möge der Pfaffe seinen Ministranten ehelichen. Ich schweife ab.
Also zu meinem zweiten Begriffsdorn im Auge: Chaos-Wahl. Von den Totalausfällen, die überall in Europa, demokratisch legitimierte Vertreter als „Clowns“ bezeichnen, will ich nichtmal anfangen.
Was ist in unsere Massenmedien gefahren, dass sie eine Wahl, in der nicht 99,9% der Stimmen auf eine Partei entfallen plötzlich als Chaos-Wahl diffamieren? Müssen jetzt die Italiener – wie zuvor die Griechen – auch so lange zur Urne bis es Mutti passt? Wollen wir ihnen in diesem Fall wünschen, dass sie früher merken, dass diese Urne durchaus ihre eigene werden könnte. Was hier als Chaos-Wahl in den Dreck gezogen wird ist – so hab’ ich’s mal gelernt – das durchaus spannende Ergebnis einer demokratischen Abstimmung. Da passiert’s schonmal, dass die Mehrheitsverhältnisse ungeklärt bleiben. Am End’ wären Abgeordnete, befreit von Fraktionszwängen, tatsächlich mal dazu aufgefordert, ihre Stimme nach bestem Wissen und Gewissen abzugeben – ja, das kann man aus deutscher Sicht schonmal „Chaos“ nennen. Jetzt wird’s mir klarer.
Demokratie haben wir doch mal gemocht, oder galt das nur bis zur Wiedervereinigung? Ich meine, dass der Zug bereits abfährt ist mir nicht entgangen, aber dass die Hofberichterstatter die Kohle in die Lok schaufeln – und das mit so viel Verve – das ist doch relativ neu.
Und wo ich’s von der abfahrenden Demokratie und zuvor den Aktivistinnen habe und hatte: Warum zum Teufel muss ich sowohl den Massenmedien als auch den Anarchisten/-innen erklären, dass Anarchie und Anomie nicht dasselbe sind? Da helfen der Duden und wikipedia, liebe Journaille, die ihr Euch doch so um den Qualitätsjournalismus sorgt. Anarchie ist erst einmal vor allem die Abwesenheit von Herrschaft oder nur eine minimale Gewaltausübung durch Institutionen. Der ganze wir-gehen-aufeinander-los-Chaos-Bürgerkrieg-jetzt-geh’n-wir-alle-druff-Popanz heißt sich Anomie, die tatsächlich den Zustand einer eher gewaltsamen Unordnung beschreibt. Das hinter die Ohren – ging mir nur so durch den Kopf.