Von antikapitalistischen Fußgleitern
Die Geschichte ist ne Weile her. Ich erzähle sie Euch trotzdem, denn sie wiederholt sich. Und ich sag’s Euch wie’s is: Der Kapitalismus wird an einem Fußgleiter scheitern.
Ich hab mir 2018 mal beim XLutz Stühle gekauft. Hübsche Stühle, online, ein Schnäppchen gemessen am Normalpreis, 6 Stück. Wie das bei Möbelhäusern so ist, die Illusion, die müssten zuerst in irgendeiner Manufaktur handgeklöppelt werden, will aufrecht erhalten werden. Dauert also, so von Bestellung bis Lieferung… macht nix, kenn ich ja schon. Den Rest kannte ich so noch nicht.
Da fehlt was.
Die Stühle kamen. Ein Karton war recht ramponiert und eines der Stuhlbeine guckte heraus. Und irgendwo unterwegs hat das ärmste seinen Fußgleiter verloren. Das sind diese Plastikpanöppel, die unten im Stuhlbein stecken, damit das rohe Metall nicht den Boden schrottet. Der Fußgleiter also war weg, ich nicht froh, eine entsprechende E-Mail schnell geschrieben. Was folgte, war ein E-Mail-Austausch, der tatsächlich einen kompletten Monat lang währte…
Kleiner Exkurs
Die Stühle bestehen übrigens aus den Beinen aus Metall (mit den Fußgleitern unten dran), einem Metallteil mit einem Kugellager, das auf die Beine geschraubt wird, und einer Sitzschale, die dann auf den ganzen Bums draufgesetzt wird. Muss man wissen, für die folgenden Absurditäten.
Ersatzteile
Auch wenn das hier nicht immer zum Tragen kommt, ich bin eine höfliche Natur – doch wirklich. Scheinbar auch ein bisschen naiv, denn ich ging in meiner ersten E-Mail, davon aus, dass es sich nur um ein Kinderspiel handeln könnte, so ein winziges Teil mal eben hinterher zu schicken. Hui, habe ich mich geirrt.
Nach dem ersten Hin und Her (mit Fotos, Rückfragen, dies das) bot man mir, statt des verfluchten Fußgleiters, einen Gutschein an, um den Schaden abzugelten. Nun isses aber so, dass wenn ich sechs Stühle bestelle und davon nur fünf nutzen kann, mir das gar nix nutzt. Was sollte ich mit dem sechsten machen, ihn als Dekogegenstand verwenden? SO geil sind die Stühle dann auch nicht. Und dem sechsten Gast kann ich ja dann eine Trittleiter hinstellen…
Mehr Ersatzteile
Ich war nicht erfreut und hakte nach. Der nächste verzweifelte Versuch des Unternehmens: „Wir liefern Ihnen ein Beschlagset, andere Teile sind zur Zeit nicht lieferbar“. Auf meine Nachfrage, was das denn sei hieß es, das sei das Mittelteil mit den Schrauben, und da seien auch die Fußgleiter dabei. Ratet!
Genau: Zu den sechs Stühlen habe ich jetzt zwei Mittelteile… man weiß ja nie. Im nächsten Schritt hieß es, der Stuhl sei aus dem Programm genommen worden und man könne jetzt gar nichts mehr tun, ich verwies darauf, dass man mir ja stattdessen das identische Modell schicken könne, das es online noch gibt … man bot mir an, alle Stühle zurück zu schicken… es war zum Durchdrehen. Gelöst habe ich den Quatsch, indem ich in eine Filiale ging, in der mir ein Mitarbeiter – beherzt – einen Fußgleiter aus einem der vorhandenen Stühle zog – Plopp, da ham’se, schönen Tag, guten Weg.
Ja und?
Was da klingt, wie eine putzige Geschichte, ist die Bankrotterklärung unseres Systems (und das war 2018). Produktion und Lieferketten sind so eng gestrickt, dass ein einzelner Fußgleiter Unternehmen aus der Fassung bringen kann. Reklamationen zielen aufs Beruhigen der Kund_innen oder das Wegwerfen neuwertiger Waren (Siehe Amazon (https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/amazon-297.html)). Es ist einfacher, sechs Stühle kostenfrei zurück zu holen, als der Lieferkette ein einziges, zusätzliches Plastikteilchen abzuringen. Und wer darin den Irrsinn nicht erkennt… also dann weiß ich auch nicht.
Einzelfalllllllll
Nun magst Du denken, naja, sowas passiert mal. Schön wär’s. Gartenmöbel, Dänisches Bettenlager (jetzt Jysk, Scandinavian sleeping and leider nicht fußgleitern), ein Fußgleiter kaputt… unmöglich zu besorgen, Gutschein oder Pech. Küchenmaschine, Kesser, mit allem Fotz und Feuerstein, u.a. einem Mixer-Aufsatz. Geilo, Schnapper. Leider war dieser Mixer-Aufsatz undicht, sodass man ihn nicht spülen konnte. Ich weiß bis heute nicht, ob das bei dieser Maschine nunmal so ist, oder ob das Teil fehlerhaft war, denn die Antwort auf die Reklamation war diese: „Aus logistischen und buchhalterischen Gründen ist leider keine Ersatzlieferung möglich. Sofern Sie die Ware erneut haben möchten, bitten wir Sie hierfür eine neue Bestellung aufzunehmen.“ Also zurückschicken und ggf. neu kaufen, statt eines neuen Mixers.
Aus logistischen und buchhalterischen Gründen…
treten wir unseren Lebensraum in die Tonne. Aus logistischen und buchhalterischen Gründen ist es dieser Industrie leider nicht möglich, ihr vollkommen irrsinniges Treiben abzustellen, und wir werfen stattdessen einfach Neuwaren weg, halten keine Ersatzteile vor und karren komplette Geräte durch die halbe Welt, statt einer Tüte voller Fußgleiter. Aus logistischen und buchhalterischen Gründen pflastern wir unseren Weg in die Klimakatastrophe mit Glas, Metall und Plastik, denn wir leben in einem System, in dem es billiger ist, keine Ersatzteile zu haben. Aus logistischen und buchhalterischen Gründen sind wir offenbar komplett verrückt geworden.