Tintenkiller

Das muss man sich mal vorstellen. Also nicht das entrüstete „Stell Dir das mal vor!“ sondern so richtig vorstellen, mal durch’s Hirn marinieren und vorm geistigen Auge in Bild und Ton „real“ werden lassen. Was man sich mal vorstellen soll? Na, wie diese Drohnen-Todesliste so entsteht.

Meine erste Assoziation war ja: Wie beim Plattenkauf? Ich meine, ist doch klar, dass die naheliegendste Vorstellung eine ist, deren Ablauf man kennt. In meinem Beispiel ist das so: Mein Plattendealer hat eine Vorauswahl für mich getroffen und mir zum Abhören in mein Fach gepackt. Wenn ich dann dort war, hab’ ich die Scheiben mehr oder weniger flott durchgehört und wenn mich ein Stück gepackt hat, habe ich mich länger damit befasst und es bestenfalls erworben.

Also stelle ich mir vor, dass es einen festen Termin bei Mr. President gibt, zu dem so ein paar NSA-Schergen auflaufen, sich ‚Yes, we can‘ ins Oval Office setzen und eine Reihe von  Vorschlägen ausbreiten, auf dass Obamasama entscheide, welche der Jungs (von Terroristinnen hört man ja eher selten) wann und wo über den Haufen gebombt werden.

Was sich dabei meiner Vorstellungskraft erwartungsgemäß entzieht ist, nach welchen Kriterien die GOs und NOs so vergeben werden. Falsches Schuhwerk? Krumme Nase? Braun? Guckt böse? Nachname schwer auszusprechen? Klingt rückwärts gelesen irgendwie nach Ketzer? Koran unterm Arm? Schwierig. Zumal so ein Präsident der größten, schönsten, reichsten, freisten Macht der Welt ja nun auch nicht den ganzen Tag Zeit hat, irgendwelche Essays zu lesen oder Namen zu googlen, die er kaum aussprechen, geschweige denn richtig schreiben kann. My apologies Mr. President, nix persönliches, würde mir ja nicht anders gehen.

Top 1 scheint zu sein: Wo hält sich der Kerl auf oder wird sich aufhalten? Wenn man schon so am Kristallkugeln ist, was die Absichten gewisser Herren angeht, dann lässt sich doch sicher auch ermessen, ob da Besuche im Jemen oder in Pakistan geplant sind. Dorthin nämlich – so die offizielle Lesart – fliegen die Dröhnchen. Dabei würde ich durchaus gerne einmal sehen, wie so’n Ding in Berlin runtergeht oder vielleicht in Mailand oder in Paris zum Prêt-á-Porter. Endlich mal wieder Mode, die einschlägt! Aber beim Versenden explosiver Spielzeuge scheint man sich noch strikt an die Achse des Bösen zu halten. Beim Abhören sind die Herren ja etwas flexibler. Ich kann gar nicht angemessen in Worte fassen, wie laut ich noch immer lache, wenn ich an das abgehörte Handy der Merkelin denke. Dabei hatte Herr Pofalla die Affäre doch beendet.

Aber ich schwiff ab. George Carlin gedenkend dürfte die zweite wichtige Kategorie auch klar sein: braun. Carlin hat sinngemäß zu all den Ölkriegen kommentiert: Wir bombardieren sie, weil es braune Menschen sind. Ich bin sicher, das gilt auch heute. Oder kann sich irgendwer vorstellen, dass der feine Herr Bäräck den Fahr-zur-Hölle-Schein für einen Weißen oder Schwarzen ausstellt? Und die Gelben sehen ja eh alle gleich aus, da will man einen Nordkoreaner abknallen lassen und hat prompt Probleme mit dem chinesischen Markt von Zulieferern und Neukunden. Na das wär’s ja noch. Weiße scheiden ohnehin aus. Die unterliegen der Staatsräson und werden maximal inhaftiert. Wenn dazu Ausnahmezustände, Terrorgesetze, Wohnungsdurchsuchungen und Einkesselungen notwendig sind – bitte. Zimperlich ist nicht, aber Drohnen- statt Tea-Party ist wohl auch nicht. Und Schwarze? Na, wie sähe aber das denn aus? „No, i can’t“. Das bringt er doch nicht übers Herz. So’n Präsident ist doch auch nur ein Mensch. Am End’ ist’s noch ein über viele Ecken Verwandter. Wobei, da sollten ja die Schergen mit ihren Recherchen vor sein, dass Obsi nicht plötzlich kreidebleich wird, beim Anblick eines Bomb-den-weg-Vorschlags, weil’s ein Cousin oder Neffe ist. Grundsätzlich ist ja schon das ein oder andere Präsidentenverwandte vom rechten Pfad abgekommen. Und wie peinlich wäre das, so ein – haha – schwarzes Schaf auf der schwarzen Liste zu haben?

Was also am Ende auch immer ausschlaggebend sein mag, da sitzt der Anführer der freien Welt also an seinem Schreibtisch und unterzeichnet Tötungsbefehle. Wobei, vielleicht unterzeichnet er ja auch gar nix. Es ist schließlich die NSA und wir sind in den USA, 2013, die verstehen was von Internet. Und wer’s so abhören kann, der schickt vielleicht die Essays elektronisch auf Herrn Obamas Smartphone, wenn grad Zeit ist oder so. Unten dran dann eine ‚Approve‘-Taste. Grün für Bumm, Rot für ‚No‘ oder umgekehrt. Vielleicht gibt’s auch eine Taste für Wiedervorlage, falls gerade ein wichtiges Telefonat von Änschie ankommt oder gehört werden muss. Überhaupt bietet so eine elektronische Oberfläche noch ganz andere Möglichkeiten: Vielleicht ein Menü ‚Zuletzt angesehen‘ oder ‚Andere, lupenreine Demokraten bombardierten auch…‘ oder ‚Empfehlungen aufgrund von bisher getroffenen Entscheidungen‘ – eine Genius-Todesliste oder Lieblings-Terroristen, da können doch Google und Amazon mit ihrem Know-How aushelfen. Ordentliche Sortierungen müssen natürlich auch her. Zuletzt betrachtet nach Datum und Terroristen nach Brauntönen der Hautfarbe – und weil das am Bildschirm schwer zu beurteilen ist, gibt es einen Farbfächer für Mr. President – streng geheim, needless to say.

Hauptsache jedenfalls, er verklickt sich nicht oder unterschreibt mal in der falschen Zeile. Das wäre tragisch. Wenn man Menschen ferngesteuert töten lässt, die man nicht kennt, dann sollten’s schon die richtigen sein. Und verrutscht man mal, bei all den Unterschriften, die so ein Mr. jeden Monat leisten muss, dann fliegt eben keine Drohne los, sondern dann gibt’s eine weltweite Reise-/Terrorwarnung. Kannst Du ausschließen, dass das der Auslöser war? Eine Unterschrift in der falschen Zeile? Ich kann’s nicht.

Verstehen kann ich’s übrigens auch nicht, aber darüber jetzt zu schreiben, würde noch einmal dieselbe Artikellänge hervorrufen, die hier schon steht. Ich finde auch, dass ich gar nicht erklären muss, wie ekelhaft und unrecht es ist, dass ein Mensch über den Einsatz tödlicher Drohnen überhaupt und dann auch noch auf dem Gebiet fremder Staaten entscheidet. Es soll dumme Faschisten im Dritten Reich gegeben haben, die tatsächlich (wir haben doch von allem nichts gewusst) von allem nichts gewusst haben; die tatsächlich nicht wussten, wer da auf den Zügen transportiert wird oder was in den Lagern vorgeht, in die sie ihre Opfer überführt haben. Dieser hier weiß was er unterschreibt und was es auslöst. Und die Staatsoberhäupter, die es wissen und nichts unternehmen sind schuldig. Punkt.

…und auf dem Regal dieses feinen Herrn schämt sich der Friedensnobelpreis. Es ist eine Schande, wem und wofür dieser Preis verliehen wird und wurde und es ist eine Schande, dass er nicht aberkannt wird, wie andere ergaunerte Titel. Ich kenne die Kriterien für den Friedensnobelpreis genauso wenig wie die für einen Drohnenangriff, aber an dem einen der beiden steht wenigstens ‚kriegerisches Treiben‘ dran – am anderen steht ‚Frieden‘ und ich schlage vor, ihn im nächsten Jahr an Vladimir Putin zu verleihen, der nun seit vielen Jahren in kein neues Land eingefallen ist und der zu Hause in Russland ja auch für Ruhe und Ordnung sorgt. Und falls es eine Organisation sein soll, dann wäre Tepco doch ein würdevoller Nachfolger für die EU. Ich meine sogar, Tepco hat wesentlich länger keinen Krieg auf eigenem oder fremden Boden angezettelt oder geführt und obendrein ist es doch höchstfriedlich und preisverdächtig, dass die Firma all ihre Kräfte bündelt, um die Katastrophe einzudämmen, die es ohne sie gar nicht gäbe.