Tweet, 1.1.2020: Ähm, Verzeihung. Aber heute wird hier #Krefeld als Tragödie gehandelt, bei der man, laut Zoodirektor, massiv Trauerarbeit leisten müsse. Und gleichzeitig ist die Tragödie auf dem #Mittelmeer daily business? #allebekloppt #whatsnext #seebrücke #RefugeesWelcome

Schon bedauerlich, dass ich diesen Tweet erklären muss, aber offenbar ist Empörung das einzige, das die Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte in den Menschen übrig gelassen hat. Denn kaum abgeschickt, ereilten uns Reaktionen, wir sollten doch den Kontext nicht verlassen und man könne ja nicht Leid mit Leid vergleichen. Da saß ich dann, rollte mit den Augen und dachte: Ach Kinner, I didn’t.

Tragödie
Im Kontext, den ich geschaffen habe und somit schwer verlassen kann, ging und geht es um die verwendeten Begriffe. Ich schrieb 2014 schonmal darüber und – ich tu nicht überrascht – geändert hat sich nix. Irgendwie leben wir im Superlativismus. Kein Furz ist zu leise, als dass man ihn nicht zum Gestank des Jahrtausends aufbauschen müsste, und so sind dann auch 30 Affen in Krefeld kein Unfall, meinetwegen auch tragischer Unfall, sondern sie sind eine „Tragödie“. So hat Shakespeare das gewiss nicht gemeint.

Outrage
Das – neben den verwendeten Begriffen – Absurde daran ist: in all der Empörung gehen nicht nur die Relationen sondern auch die richtigen Fragen verloren. Als #Krefeld anfing zu trenden, empörten sich die asozialen Netzwerke über Feuerwerk, das als mögliche Brandursache gehandelt wurde. Schwupps war wieder überall vom Böllerverbot zu lesen und dass nun das Maß voll sei usw. usf. Empörung! Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass die Brandursache Himmelslaternen gewesen seien und schwupps empörten sich die Empörten darüber, wieso die – da verboten – überhaupt verkauft würden. Medial begleitet wird die Empörung übrigens mit Schlagzeilen wie „Sachverständige ermitteln nach Zoo-Katastrophe“ (T-online) und „Eine unergründliche Tragödie“ (Spiegel Online). Das ist wie das „darf’s noch ein bisschen mehr sein?“ an der Fleischtheke. Ich warte noch auf die „Je suis Krefeld“-Banner.

In all ihrer „massiven Trauerarbeit“ stellen die Wenigsten die richtigen Fragen. Erst einmal – finde ich – ist zu klären, was Wildtiere überhaupt in Zoos verloren haben? Dienen sie – und besonders Äffchen – doch meist der Unterhaltung der Besucher*innen und nicht so sehr einem Bildungsauftrag. Dann frage ich mich, wie ein paar Himmelslaternen ein Gehege so nachhaltig in Brand stecken können, dass es komplett und mit all seinen Bewohnern niederbrennt? War das Gehege aus Reisig und gibt’s da keine Sprinkler? Das ist, was mich beschäftigt, wenn ich solche Nachrichten lese. Die Affen selbst lösen bei mir nichts aus, schon gar nicht, wenn ich weiß, dass in Australien gleichzeitig wohl tausende Tiere in den Bränden verenden.

Whataboutism
Und nein, das ist eben kein Whataboutism. Ich vergleiche nicht Leid mit Leid oder verlasse den Kontext. Ich setze den Kontext, denn es geht um die lächerliche Aufregung, die mit Krefeld einhergeht. Lächerlich, weil sie unsachlich ist und mit der Größe des Unfalls nichts zu tun hat. Unsere Sprache ist so präzise, dass man den Geschehnissen durchaus den richtigen Wert zuweisen kann. Die Präzision aber ist völlig verloren. Alles ist eine Katastrophe, eine Tragödie, das Schlimmste, das Widerlichste, alles ist Drama. Und all das für einen Tag lang, falls nicht die nächste, noch größere Sau am selben Tag durch’s Dorf getrieben wird. Und das führt dann eben dazu, dass 30 tote Affen an ihrem großen Tag den Stellenwert tausender verbrannter Tiere in Australien und tausender Toter im Mittelmeer verblassen lassen. Es ist die Suche nach der immer größeren Schlagzeile und der immer größeren Empörung, die alle Relationen niederwalzt.

Superlativismus
Noch mal für praktisch Bildbare: Sie dürfen um Affen trauern, das spreche ich niemandem ab. Aber die damit einhergehenden Begriffe müssen zurück auf den Boden der Tatsachen. Dann halten sie vielleicht länger als einen Tag. (Während ich den Artikel schreibe, trendet übrigens #Bonpflicht. So wichtig war #Krefeld.) Andernfalls werden jede Schlagzeile, jede Moderation und jeder Post/Tweet vor allem eins sein: lächerlich. Es war just gestern, dass ich jemanden im Radio sagen hörte: Heute Abend wird es megakalt und heute Nacht klirrend kalt. Sollte heißen 0 Grad und –6 Grad. Und das ist Unsinn, lächerlicher Unsinn. Sprachlich, weil zwischen „mega“ und „klirrend“ keine Unterscheidung getroffen werden kann – beides sind nur Übertreibungen. Inhaltlich, weil beides nicht zutrifft, fragen Sie einen Finnen. Und insgesamt, weil ich schreien möchte: Es ist Winter, Du Arschloch!

Es ist gefährlich, 0° C als megakalt zu bezeichnen und den Tod von Affen in einem Zoo, der wohl schlecht vor Bränden geschützt ist, als Tragödie. Gefährlich deshalb, weil in einer so präzisen Sprache wie der unseren, dann plötzlich die Begriffe fehlen, um tatsächliche Tragödien zu beschreiben. Und so verkommt alles was geschieht, zum empörten Einheitsbrei, in dem nur die Klickrate zählt, und deren Halbwertszeit bei wenigen Stunden liegt. Die Betroffenen selbst verkommen zum Werkzeug der Reichweite. Die Empörung ist verlogen, die Begriffe sind überzogen und die Aufregung nur noch ein widerlicher Reflex. Wer aber die Bildung in Grund und Boden spart, erhält diesen Mangel an Präzision und damit einhergehend einen Zuwachs von Aggression. Wer ständig im Superlativ lebt, verliert leider auch das richtige Maß im Umgang mit Mitmenschen. Das ist ebenso scheußlich wie logisch.

„Ob eine Sache gut oder schlecht ist, weißt du frühestens nach fünf Jahren.“ – Chinesisches Sprichwort

Ein Gedanke zu “Tote Affen

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